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Blinde Voegel

Blinde Voegel

Titel: Blinde Voegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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Eichstraße abzusuchen. Wenn Sagmeister das Notebook einfach hat liegenlassen, bevor sie … also, dann kann es dort immer noch liegen, mit leerem Akku. Na ja. Wahrscheinlicher ist, dass jemand es gefunden und mitgenommen hat. Am besten, wir informieren die Fundämter. Kann ja sein, dass jemand es abgibt.» Er hob die Arme und ließ sie wieder fallen. «Ehrliche Leute sind gar nicht so selten.»
    Zweifellos. Es gab ehrliche Leute, verlogene Leute und solche, die etwas verbergen wollten. Obwohl Ira ihren Selbstmord für die Gruppe so meisterhaft inszeniert hatte, wurde Beatrice den Gedanken nicht los, dass jemand da draußen eventuell sehr froh darüber war, ein metallicblaues Notebook verschwinden lassen zu können.
    Ira hatte sie und Florin als «typische Polizisten» bezeichnet. Richtig freundlich, wenn sie etwas wollen. Aber nicht bereit zuzuhören, wenn jemand von sich aus etwas erzählen möchte.
    «Stefan?», sagte sie, ihrer Eingebung folgend. «Lass doch bitte Bechner überprüfen, ob Ira jemals bei einer Polizeidienststelle war und Hilfe gesucht hat. Vielleicht Anzeige erstatten wollte, irgend so etwas. Er soll sich möglichst bundesweit erkundigen. Vermutlich ist sie abgewimmelt worden, aber es könnte trotzdem Unterlagen geben.» Es war eine Sisyphusarbeit mit verschwindend geringen Aussichten auf Erfolg, zu der sie Bechner da verurteilte. Er würde sie verfluchen, aber das musste sie in Kauf nehmen.

    Seit ihrem überstürzten Aufbruch am vergangenen Abend hatte Beatrice keine Gelegenheit mehr gefunden, sich anzusehen, wie die Gespräche in der Lyrikgruppe weiterverlaufen waren. Sie brannte darauf herauszufinden, ob durchgesickert war, was Ira getan hatte, ob jemand auffällig darauf reagierte oder Dinge wusste, die niemand wissen konnte.
    Doch in einem der Besprechungszimmer wartete Iras Vater, und ihn dort alleine sitzen zu lassen, war das Letzte, was Beatrice wollte.
    Auf dem Weg den Gang entlang rieb sie sich die Arme, erstaunt über ihr eigenes Frösteln.
    Der zweite trauernde Vater innerhalb von drei Tagen. Und wieder ein Vater. Kein Paar, keine Mutter, das war bemerkenswert.
    «Seit wann weiß er es?», fragte sie Florin, der neben ihr ging, sein Smartphone in der Hand. War der wunde Ausdruck in seinen Augen dem Gespräch geschuldet, dem sie entgegengingen? Oder der Nachricht, die er eben las?
    «Letzte Nacht sind zwei Kollegen zu ihm gefahren. Es muss schlimm gewesen sein, sie wollten ihn sogar ins Krankenhaus bringen, aber er hat sich wieder gefangen.» Florin steckte das Handy weg und sah Beatrice an. Als er lächelte, war es, als müsste er vorher überlegen, welche Muskeln dafür erforderlich waren. «Es wird nicht einfach werden.»
    «Das ist es doch nie.»
    Als Erstes sahen sie seinen Rücken. Schmal, für den eines Mannes. Zitternd. Er wandte sich nicht um, obwohl er sie gehört haben musste.
    Beatrice setzte sich neben ihn, Florin nahm den Stuhl gegenüber. «Herr Sagmeister?»
    «Ja.» Sein Gesicht war verquollen, seine Stimme so heiser, als habe er stundenlang geschrien.
    «Unser herzliches Beileid. Wir wissen es sehr zu schätzen, dass Sie in dieser Situation zu uns kommen. Vielen Dank.»
    Er nickte nur, wortlos. «Ich will sie sehen. Ich will mein Mädchen sehen.»
    Das Nein lag Beatrice so unmittelbar auf der Zunge, dass sie sich auf die Lippen beißen musste, um es nicht auszusprechen. «Lassen Sie uns später darüber reden. Ich würde gerne wissen, wann Sie Ira das letzte Mal gesprochen haben und welchen Eindruck sie da auf Sie gemacht hat.»
    Er bemühte sich sichtlich. Setzte mehrmals an, bis er die Worte herausbrachte. «Vor fünf Tagen. Ich habe für sie gekocht, und sie hat fast nichts gegessen. Aber das war nicht ungewöhnlich, wissen Sie? Schon als kleines Kind …» Sein Oberkörper sackte nach vorne, zuckend.
    «Lassen Sie sich ruhig Zeit.» Wie sehr Beatrice ihre eigenen Floskeln hasste.
    «Immer schlecht gegessen. Auch diesmal.» Was er sagte, war kaum zu verstehen, drang nur gedämpft zwischen den Händen hindurch, die er vors Gesicht geschlagen hatte. «Wir haben über Geld gesprochen. Sie brauchte welches, und ich habe es ihr gegeben. Dann hat sie … von einer Prüfung erzählt, die sie machen wollte.»
    «Ganz normale Dinge also?», übernahm Florin. «Sie hatten nicht den Eindruck, dass es Ira schlechtging?»
    Tiefes Ein- und Ausatmen. «Es ging ihr immer schlecht. Irgendwie. Seit ihre Mutter tot war.» Sagmeister ließ die Hände sinken, ein furchtbares

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