Blinde Voegel
geliebt. Und hätte den Sinn verstanden. Danke, Nikola.
Helen Crontaler Es gibt aber passendere Rilke-Gedichte. Und man könnte sie vollständig posten, nicht verstümmelt.
Oliver Hegenloh Streitet nicht, bitte. Wenn etwas wirklich unpassend ist, dann das.
Boris Ribar Ich schließe mich Oliver an.
Und so weiter und so weiter.
Sie saßen in Florins Wohnzimmer, die Glaswand zu ihrer Linken gab den Blick frei auf die Salzburger Innenstadt. Ein Penthouse wie dieses war nicht mit einem Polizistengehalt zu bezahlen, doch auf Nachfragen reagierte Florin immer peinlich berührt. Er habe die Wohnung seiner Großmutter zu verdanken, und eigentlich sei sie ihm viel zu groß.
Nun las er kauend, die Stirn in Falten gelegt. «Ehrlich gesagt, blicke ich nicht durch. Die verhalten sich ganz normal. Ein bisschen schrullig, das schon, aber um den Verantwortlichen für Pallaufs, Beckendahls und Sagmeisters Tod hier zu suchen …» Er hob den Kopf und sah Beatrice von der Seite her an. «Tut mir leid, Bea. Ich weiß, du willst diese Theorie nicht aufgeben, aber sie steht auf tönernen Füßen.» «Es ist der einzige Zusammenhang zwischen den dreien. Wir können das nicht einfach vom Tisch wischen.»
«Was ist mit Dulović? Er war nicht in der Gruppe, trotzdem ist er tot.»
Leider wahr. Aber ein Zusammenhang bestand dennoch – Dulović hatte behauptet, etwas über Pallaufs und Beckendahls Tod zu wissen. Drei Tage später war er in der Salzach gefunden worden.
«Es ist wie eine Gleichung mit lauter Unbekannten.» Beatrice sprach jetzt mehr mit sich selbst als mit Florin. «Kein Motiv, kein Täter. Aber es gibt beides, ich weiß es einfach. Was ist zum Beispiel mit der Glock? Es spricht nichts dafür, dass Pallauf es war, der sie gestohlen hat. Wie ist sie an den Tatort gekommen?» Gedankenverloren schob sie sich eine getrocknete Tomate in den Mund. «Wir müssen es mit einem sehr geschickten Mörder zu tun haben, der auf irgendeine Weise vom Tod all dieser Opfer profitiert.» Mittellose Studenten und eine Kosmetikerin. Wer hatte etwas davon, sie zu töten? Ein Lyrikhasser? Oder jemand, der fand, dass sie heilige Verse entweihten, indem sie sie ins Internet stellten, als Untertext für mittelprächtige Fotografien? Ein weiterer Gedanke schoss ihr durch den Kopf. Es gab noch eine Gemeinsamkeit. Salzburg-Bilder. Iras Tankstelle.
«Und Pallaufs Festung.»
«Entschuldige bitte, aber ich verstehe kein Wort von dem, was du sagst. Was meinst du mit Pallaufs Festung ?»
«Sage ich dir gleich.» Beatrice scrollte nach unten. Wann war das noch mal gewesen, im Dezember letzten Jahres? Da hatte Pallauf ein Bild des Hellbrunner Weihnachtsmarkts eingestellt, dazu Storms Gedicht.
Vom Himmel in die tiefsten Klüfte
Ein milder Stern herniederlacht;
Vom Tannenwalde steigen Düfte …
Es dauerte, bis sie es gefunden hatte.
«Er hat gerne fotografiert und immer wieder Bilder von Salzburg gepostet. Siehst du? Hellbrunn. Ein bisschen später, im Februar, noch mal.» Zwei weitere Minuten, dann hatte sie es auf dem Bildschirm. Die Festung Hohensalzburg und wieder Rilke. Ein weißes Schloß in weißer Einsamkeit …
In Florins Miene stand nichts als Ratlosigkeit. «Was soll mir das sagen? Es ist ein beängstigendes Gedicht, das schon. Und ich habe es bisher nicht gekannt, aber …»
«Pallauf und Sagmeister sind die Einzigen, die Bilder von Salzburg gepostet haben. Wobei die von Pallauf schöner sind, Sagmeisters Fotos waren eher … eigenartig. Eine Tankstelle, zum Beispiel. Zwar ohne Rilke, aber dafür ein anderes Gedicht, bei dem der Tod aus jeder Zeile quillt.» Sie überflog es noch einmal. Fenster grinst Verrat, Äste würgen, Berge Sträucher blättern raschlig, Gellen Tod. Und dazu eine Reihe von Zapfsäulen?
Florin wirkte nicht überzeugt. «Wenn du genau hinsiehst – die anderen machen das auch. Hier, schau her. Frederik Obrist: ein Gedicht von Wedekind und ein Bild des Ulmer Münsters.»
«Richtig, aber es ist nicht Salzburg. Es ist kein Gruppenmitglied aus Ulm ums Leben gekommen, soweit ich weiß.»
Florin schüttelte den Kopf. «Dass Ira ein solches Gedicht mit diesem Foto kombiniert, spricht eher für ihre psychischen Probleme. Andere veröffentlichen Haustierbilder, Babyfotos, Landschaften. Ich verstehe, was du meinst. Aber um es ein Muster nennen zu können, sind mir zu viele Webfehler darin.» Er griff nach seinem Glas. «Sarah Beckendahl zum Beispiel. Wie passt sie in deine Theorie? Sie war in der Gruppe, gut. Aber sie hat
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