Blinde Voegel
schneller Blick in Florins Handy-Adressliste genügte.
«Ich habe den Eindruck, dass etwas nicht stimmt. Florin ist anders, seit neulich. Zum ersten Mal ist er gerne wieder nach Hause zurückgefahren, letztes Wochenende.»
War bei der Frau alles in Ordnung? Eine Wildfremde anzurufen und ihr die eigenen Beziehungsprobleme darzulegen, war … ungewöhnlich. Wenn nicht mehr als das.
«Wir arbeiten gerade an einem anstrengenden Fall», erklärte Beatrice mit dem unangenehmen Gefühl, in ein Gespräch gezogen zu werden, das nur schiefgehen konnte. «Ich schätze, Florins Gedanken kreisen die meiste Zeit darum. Meine tun es jedenfall-»
«Nein», schnitt Anneke ihr das Wort ab. «Es ist anders. Ich weiß, wie Florin sich verhält, wenn er an die Arbeit denkt. Diesmal hatte ich das Gefühl, er denkt an seine Kollegin. An Sie.»
«Das ist Blödsinn.» Warum rechtfertigte sie sich eigentlich? «Außerdem finde ich, dass Sie Ihre Beziehung nicht mit mir, sondern mit … mit ihm selbst besprechen sollten. Ich habe nichts damit zu tun.» Endlich bekam sie wieder Boden unter die Füße.
«Er redet aber viel von Ihnen.» Anneke ließ sich nicht beirren. «Beatrice sagt dieses, sie sagt jenes, sie hat ein so gutes Gefühl für die Dinge …»
Tat er das wirklich? Diesmal drehte sie sich nicht um, ihr Blick blieb auf das Kitschgemälde der Rialtobrücke geheftet, das ihr gegenüber an der Wand hing.
«Wir sind Kollegen», sagte sie mit gesenkter Stimme. «Und ganz ehrlich, ich finde Ihren Anruf mehr als merkwürdig. Merken Sie nicht, dass Sie Florin damit bloßstellen, wenn auch nur vor mir? Er und ich, wir schätzen einander. Das ist alles.»
«Hm.» Sie schien kurz zu überlegen. «Schwer zu glauben. Wissen Sie, ich bin nicht ein Fan von – wie sagt man? Halbe Dinge?»
«Halbe Sachen.»
«Genau. Wenn Florin sich nicht sicher ist, ob ich für ihn richtig bin, dann ist es besser, wir trennen uns. Deshalb habe ich angerufen.»
Die Logik dieser Argumentation war für Beatrice nicht nachvollziehbar. «Aber warum mich, zum Teufel?»
«Ich wollte Sie hören und wissen, wie Sie reagieren. Jetzt sehe ich klarer. Danke. Tot ziens.» Sie legte auf.
Beatrice hielt sich das Handy weiter ans Ohr, sie brauchte noch ein paar ungestörte Sekunden, um sich zu sammeln. Waren in den Niederlanden alle Leute so direkt? Woher wollte Anneke wissen, dass Beatrice nicht umgehend zu Florin gehen und ihm das Gespräch in allen Details schildern würde?
Was natürlich nicht in Frage kam. Sie steckte ihr Handy weg und hielt Ausschau nach der Toilette. «Ich bin gleich wieder da», erklärte sie Florin im Vorbeigehen und schloss sich in der ersten Kabine ein.
Zitronenduft im Übermaß. Musste sie sich jetzt eine Geschichte zurechtlegen? Keinesfalls würde sie Florin verraten, wer eben dran gewesen war. Im Zweifelsfall würde sie eine Freundin erfinden, die sich gerade scheiden ließ, und sich für das private Gespräch während der Befragung entschuldigen.
Diesmal hatte ich das Gefühl, er denkt an seine Kollegin. An Sie. Fast gegen ihren Willen wärmte sie der Gedanke.
«Alles in Ordnung?», erkundigte sich Florin, als Beatrice sich wieder an den Tisch setzte. Die Frage, der Blick – für ihn stand fest, dass Achim angerufen hatte.
«Aber ja.» Beatrice nickte Ella aufmunternd zu. «Die Unterbrechung tut mir leid, sprechen Sie bitte weiter.»
Erst später, als sie auf dem Weg zurück ins Büro waren, ging Beatrice auf, welche Bürde Anneke ihr da aufgelastet hatte. Wollte sie den Fortgang ihrer Beziehung von einem zweiminütigen Telefongespräch abhängig machen? Jetzt sehe ich klarer , hatte sie gesagt, was für ein Quatsch.
Beatrice schüttelte den Kopf, als ob sie damit die Dinge an ihren richtigen Platz rücken könnte. Es war absurd, das alles. Und wahrscheinlich war es doch besser, mit Florin darüber zu sprechen. Anneke hatte mit keinem Wort um Verschwiegenheit gebeten.
Warum tue ich es dann nicht einfach?
Wegen der halben Stunde, die er sie damals mit seinem Körper gewärmt hatte, um ihre Unterkühlung in den Griff zu bekommen. Wegen Moon River und der Art, wie er neulich ihre Hand gehalten hatte. Weil sie darüber weder lachend hinweggehen konnte noch wollte, obwohl das sicher eine gute Idee gewesen wäre.
«Was bedrückt dich?» Florin bremste vor einer roten Ampel ab und sah zu ihr hinüber.
«Bedrücken? Gar nichts. Ich denke nur nach.»
«Worüber?»
Ja, worüber? «Ich frage mich, auf wen Ira im ‹Locarno›
Weitere Kostenlose Bücher