Blinde Wahrheit
Problem.
Bevor die Leiche aufgetaucht war, hatte das Büro des Sheriffs lediglich Vermutungen und subjektive Einschätzungen in der Hand gehabt … sowie die Aussage einer Frau, die nicht gerade dafür bekannt war, häufig bei der Polizei anzurufen.
Das war zwar nicht viel, aber auch nicht gar nichts.
Jetzt gab es eine Leiche.
Die allerdings jemandem untergeschoben worden war.
Wenn das irgendetwas mit Lenas Beobachtung zu tun hatte, dann stand jemand in dieser kleinen Stadt jetzt ganz schön unter Druck.
Der Mörder hatte es vielleicht noch nicht gemerkt, aber seine ganze List war jämmerlich nach hinten losgegangen, weil er beschlossen hatte, Law die Leiche unterzujubeln.
Komplett in die Hose gegangen.
Und er war gesehen worden.
Lena hatte die Schreie gehört.
Hope hatte jemanden beobachtet.
Wenn all das miteinander zusammenhing, dann waren diese beiden jungen Frauen höchstwahrscheinlich in großer Gefahr, sobald etwas darüber bekannt wurde.
15
»Niemand, ich wiederhole, niemand erzählt irgendwem ein Sterbenswörtchen davon«, befahl Nielson und schaute nacheinander jedem seiner Männer in die Augen. »Ihr sagt es weder euren Frauen noch eurem Priester oder eurem besten Kumpel – niemandem. Und ihr redet auch nicht mit den Kollegen darüber. Niemand, der nicht gestern Nacht am Tatort war, erfährt auch nur das kleinste Detail. Verstanden?«
Es folgte zustimmendes Gemurmel. Prather saß am Fenster und starrte mit versteinerter Miene hinaus.
»Prather?«
Angesichts des mürrischen Blick, den Nielson erntete, musste der Sheriff ein wütendes Knurren unterdrücken. »Ich hab Sie schon gehört.«
»Wenn jemand quatscht, krieg ich es raus. Bis wir herausgefunden haben, was los ist, wird Stillschweigen bewahrt.«
»Ich weiß schon, was los ist. Eine Frau stirbt und wird auf Reillys Grundstück gefunden – er muss was damit zu tun haben«, zischte Prather.
»Wenn es so ist, dann werden wir das in Erfahrung bringen. Aber erst einmal … behalten wir die Angelegenheit für uns. Und jetzt gönnen Sie sich alle eine Mütze voll Schlaf.« Es war Samstag und die meisten seiner Leute hatten heute eigentlich gar keinen Dienst. Nielson selbst würde so bald nicht zum Schlafen kommen. Er hatte eine Nachricht von Reilly erhalten – in zwei Stunden würde der Mann in Lexington landen, und dann wollte Nielson vor Ort sein, um ihn zu befragen.
Er wollte, dass in dieser Sache nichts mehr schieflief.
Law hatte bereits Leichen gesehen – mit eigenen Augen, nicht etwa am Computer oder auf Fotos, sondern in natura. Zwei Mal. Er war sogar einmal bei einer Obduktion dabei gewesen – ein Erlebnis, das er nicht wiederholen wollte. Nie wieder.
Aber er hätte lieber erneut die Leichen von damals vor sich gehabt, als die Digitalaufnahmen von dieser misshandelten Frau.
Ihm kam die Galle hoch, als er mit dem Zeigefinger auf eines der Fotos tippte.
Auf ihrem rechten Schulterblatt prangte ein Schmetterlingstattoo. Ein hübsches, flatterndes Ding … Es wirkte so echt, so voller Leben. Aus irgendeinem Grund schnürte der Anblick dieses Motivs auf ihrem leblosen Körper Law die Kehle zu.
»Haben Sie sie schon mal gesehen?«
Law versuchte, den Kloß im Hals herunterzuschlucken. »Ich glaube nicht«, antwortete er schroff.
Doch es ließ sich nicht mit absoluter Sicherheit sagen. Dazu war ihr Gesicht viel zu übel zugerichtet, geschwollen und entstellt. »Herrgott, was für ein Mensch tut so was?«, brummte er mehr zu sich selbst als zum Sheriff.
»Genau das versuche ich herauszufinden.« In Nielsons Stimme lag keinerlei Mitgefühl, doch als Law hochsah, flackerte für einen kurzen Moment etwas in den Augen des Mannes auf. »Also, Sie kennen sie nicht?«
»Sicher bin ich mir nicht, aber ich bezweifle es. Schwer zu sagen. Wer auch immer das war, er hat sie nach Strich und Faden verprügelt.«
Er hob den Kopf und fragte leise: »Wissen Sie, wer sie ist?«
»Wir arbeiten daran, es herauszufinden«, antwortete Nielson. Er legte Law ein anderes Foto hin. »Und das hier … erkennen Sie das wieder?«
Laws Miene verfinsterte sich und er legte den Kopf schief. »Ja, das ist meine Werkstatt.«
»Ihre Werkstatt?«
»Ja.« Er verzog das Gesicht. »Ich hatte mal die Idee, ein bisschen mit Holz herumzuwerkeln und so, weiß auch nicht. Hinter dem Haus steht noch ein Nebengebäude – ich hab es bis dahin größtenteils als Schuppen genutzt, für Reinigungsmittel, den Rasenmäher und all so Zeugs. Dann hab ich den halben Raum zur
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