Blinde Wahrheit
Wetter, was?«
Lena hakte sich bei Cassie unter. »Allerdings«, stimmte sie ihr zu, während die junge Frau sie zu Roz an den Tisch führte.
»Hast wohl ein paar Tropfen abbekommen.«
Lena schnaubte. Ein paar Tropfen … So konnte man es auch nennen. Und jetzt stank sie auch noch nach nassem Hund. Vor Kälte zitternd seufzte sie erleichtert auf, als Roz ihren Namen rief. »Hier wartet schon eine Tasse mit heißem Kaffee auf dich, Lena.«
»Her damit.« Sie ließ sich auf einen Stuhl fallen, und Puck machte es sich unterm Tisch zu ihren Füßen bequem.
Nach ein paar Schlucken heißen Kaffees fühlte sie sich wieder einigermaßen wie ein Mensch. »Die Natur hat sich gegen uns verschworen«, brummte sie. »An einem Tag dreißig Grad und Sonne, am nächsten Tag siebzehn Grad und strömender Regen. Ich hasse so was. Und vor allem hasse ich kalten Regen.«
»Da haben wir ja was gemeinsam«, entgegnete Law und setzte sich auf den Stuhl rechts neben sie.
Lena griff erneut nach ihrer Tasse, kam jedoch einen Augenblick zu spät. Law hatte sich bereits bedient. »Verdammt, besorg dir deinen eigenen Kaffee.«
»Ist das der Dank dafür, dass ich dich direkt bis zur Tür chauffiert habe?«
Roz schnaubte. »Ach, jetzt kommt er mit der Kavaliersnummer.«
Lena trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. »Law, wenn du mir nicht sofort meinen Kaffee zurückgibst, schlage ich dich grün und blau.«
»Brutales Weib.« Er drückte ihr die Tasse in die Hand, die sie auch nicht mehr abstellte, bis er seinen eigenen Kaffee bekommen hatte.
»Hab gehört, dass du ein anstrengendes Wochenende gehabt habe sollst.« Carter, seit vier Jahren mit Roz verheiratet, meldete sich mit seiner leisen, tiefen Stimme zu Wort. Er war ein eher zurückhaltender Mann, der mit neuen Bekanntschaften nicht schnell warm wurde. Dass er sich nach ihrem Wochenende erkundigte, durfte Lena als Zeichen seiner Zuneigung werten.
Aber sie wollte dennoch nicht darüber sprechen.
»Kann man so sagen«, erwiderte sie ausweichend und umschloss ihre Kaffeetasse mit beiden Händen.
»Können wir irgendetwas für dich tun?«, fragte Carter weiter.
»Nein.« Sie versuchte, ihre barsche Reaktion mit einem Lächeln abzumildern, und schüttelte den Kopf. »Da ist nicht viel zu machen.«
Roz tätschelte ihr die Hand. »Du kannst gerne für ein paar Tage zu uns kommen. Damit du nicht so allein bist. Du weißt ja, Platz haben wir genug.«
Plötzlich regte sich Puck zu ihren Füßen. Lächelnd schüttelte Lena den Kopf. »Ich bin nicht allein. Ich habe doch Puck.«
Roz kicherte. »Ja, und wenn ein Fremder durchs Fenster steigt, zeigt dein Wauwau ihm schwanzwedelnd, wo du das Familiensilber aufbewahrst.«
»Gar nicht wahr.« Lena zog eine Schnute. »Zu dir ist er bloß nett, weil du ihm heimlich Leckerli zusteckst.«
Um endlich das Thema zu wechseln, brachte sie das Gespräch auf Carter. »Wie läuft’s mit der Arbeit?«
Es war ihr voller Ernst gewesen, als sie gesagt hatte, dass sie nicht über die vorletzte Nacht sprechen wolle. Wenn es nach ihr ginge, würde sie die ganze Geschichte ad acta legen und einfach vergessen.
Auch wenn ihr das kaum gelingen dürfte.
Vollkommen in sich gekehrt, hörte sie nur mit halbem Ohr zu, wie Carter von seiner Töpferei erzählte. Ab und zu warf Law eine Frage ein, die das Gespräch in neue Bahnen lenkte. Lena versuchte, ihren Freunden so gut es ging zu folgen, konnte sich jedoch nicht wirklich auf die Unterhaltung konzentrieren.
Noch immer hatte sie diese arme, schreiende Frau im Hinterkopf.
Schluss damit , ermahnte sie sich selbst.
Aber das war leichter gesagt als getan.
»Ich breche dann besser mal auf«, sagte Carter schließlich. »Ist ja ganz nett, über all diese Projekte zu plaudern, aber sie erledigen sich nicht von allein. Lena, ruf an, wenn du irgendetwas brauchst.«
Sie zwang sich zu lächeln. »Mach ich. Aber keine Sorge. Mir geht’s gut.«
Nachdem Carter gegangen war, verfielen die drei Freunde in Schweigen. »Dir geht es nicht gut«, sagte Roz leise. »Du bist krank vor Sorge. Das sieht man dir an.«
»Aber ich kann nicht viel unternehmen, oder?«, fragte Lena. Müde rieb sie sich hinter den Brillengläsern die Augen.
Sie hatte mal wieder Kopfschmerzen, und was für welche. Und selbst in ihrem Essen stocherte sie nur lustlos herum. Dabei hatte sie Arme Ritter bestellt – eines ihrer Lieblingsgerichte. Kaum berührt stand es da, und der mittlerweile kalte Sirup trocknete auf dem Tellerrand an.
»Die
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