Blinde Wahrheit
Hand auf ihrem Mund wieder gefickt, jedes letzte Aufbäumen genossen, jeden unterdrückten Schrei. Am Ende war sie bewusstlos gewesen, und nachdem sein Blut sich abgekühlt und sein Geist sich geklärt hatte, war ihm klar geworden, dass er sie für eine Weile in diesem Zustand behalten musste.
Nur für den Fall.
Eine äußerst kluge Entscheidung.
Noch während er sie auf die Pritsche gehievt hatte, war in der Ferne das Heulen von Sirenen zu hören gewesen.
Doch nicht einmal das hatte ihn gekratzt. Panik war nie besonders hilfreich. Stattdessen hatte er sich weiter um sein Mädchen gekümmert, ihm eine starke Dosis Valium injiziert und es damit fürs Erste ruhiggestellt. Nachdem diese dringliche Aufgabe erledigt worden war, hatte er die Tür überprüft, um sich zu vergewissern, dass sein Versteck immer noch im Sicheren lag und noch nicht entdeckt worden war.
Dann hatte er seine Siebensachen zusammengesammelt und innerlich abgewogen … Sollte er verschwinden? Sollte er im Versteck bleiben und abwarten?
Zu knapp … Es war viel zu knapp gewesen in der vergangenen Nacht.
Den Vormittag über hatte er in der Stadt verbracht. Die Gerüchteküche brodelte.
Nach all den Jahren voller Mühen hatte er es fast vergeigt und wäre beinahe erwischt worden.
Und nun galt es, eine Entscheidung zu treffen.
Er musste vorsichtig sein … noch vorsichtiger als bisher. Und es war wichtig, die Sache bis zum Ende zu durchdenken und vorausschauend zu handeln. Selbst wenn er nun vielleicht den Drang verspüren mochte, sie umbringen zu wollen, bevor sein Versteck entdeckt wurde, wusste er, dass das möglicherweise nicht auch das Klügste war.
Je eher er sie tötete, desto früher hätte er ihre Leiche zu entsorgen – und das stellte, abgesehen von der Entführung, immer die riskanteste Aktion dar. Wenn er sie also nun umbrächte, würde er die Leiche schon bald loswerden müssen, und das, obwohl die Leute in den nächsten Tagen wahrscheinlich besonders wachsam wären.
Es war demnach besser, abzuwarten. Ja, das wäre wohl das Beste. Genau. Das war’s.
So musste es gehen.
Darüber hinaus konnte er keine Pläne schmieden, bevor er nicht wusste, was der Sheriff und seine Leute aufgrund von Lena Riddles Bericht unternehmen wollten. Lena Riddle. Sie war heute Thema Nummer eins in der Stadt gewesen. Alle redeten darüber, was sie gehört hatte, ob sie überhaupt etwas gehört hatte, ob sie überhaupt bei klarem Verstand war oder nicht.
Doch sie war nicht verrückt. Und das wussten leider nur allzu viele.
Und darin lag das eigentliche Problem.
Hope erwachte vom Rauschen des Regens vor ihrem Schlafzimmerfenster und dem Summen ihres Handys auf dem Nachttisch.
Sie warf einen Blick auf das Display und verzog das Gesicht. Dann setzte sie sich auf, zog die Decke bis zu den Schultern hoch und beendete das aufdringliche Klingeln, indem sie ranging. Sie hätte den Anruf zwar auch ignorieren können, aber er würde einfach noch einmal anrufen. So lange, bis sie das Gespräch irgendwann entgegengenommen hätte.
Law war bei so etwas ziemlich hartnäckig.
»Hey.«
»Du bist nicht hier.«
»Nein. Ich bin nicht da. Ich bin hier.«
»Und wo ist hier?«, fragte er mit ruhiger Stimme.
Er war nicht sauer, das wusste sie. Er machte sich eher Sorgen und würde es auch weiterhin tun. Natürlich hätte sie ihm sagen können, dass sie eine erwachsene Frau sei und durchaus imstande, ganz gut auf sich selbst aufzupassen, aber das wäre eine Lüge gewesen. Ehrlich gesagt war sie nämlich sauschlecht darin.
So lief das immer mit Law. Vermutlich würde er auch wütend werden, wenn sie ihm erzählte, dass ihr Hotel nur zwanzig Kilometer von seinem Haus entfernt lag. Also behielt sie es lieber für sich.
»In einem Hotel in Kentucky«, antwortete sie stattdessen. »Ich war einfach zu müde, um weiterzufahren, und jetzt … na ja, ich werde wohl noch ein oder zwei Tage brauchen.«
»Wofür?«
»Ich brauche sie eben«, erwiderte sie, ohne jedoch die Stimme zu heben.
Einen Moment lang schwieg er, dann fragte er leise: »Alles in Ordnung?«
Sie wusste genau, worauf er sie ansprach. »Mir geht’s gut. Wirklich. Ich brauche einfach nur etwas Zeit. Ich bin bald da. Okay?«
Am anderen Ende der Leitung hörte sie ihn seufzen. »Ja, das hast du mir letzte Woche auch schon erzählt. Kommst du überhaupt noch?«
»Law, ich hab dir doch versprochen, dass ich komme«, wiederholte sie. »Ich bin ja auch schon fast da … ich muss einfach bloß … einen klaren
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