Blinde Wahrheit
nicht unbedingt das Erste, an was ich denke. Aber angesichts der Tatsache, dass wir uns heute erst zum vierten Mal getroffen haben, ergibt das alles eh nicht viel Sinn. Hinzu kommt, dass ich eben an mir selbst zweifele … und das nicht zu knapp.«
»Dann hör halt auf damit.« Der Regen war inzwischen stärker geworden und hatte sich zu einem leichten, gleichmäßigen Schauer entwickelt. »Wenn er dir so wichtig ist und dich so durcheinanderbringt, dann solltest du vielleicht am Ball bleiben und herausfinden, was es mit der ganzen Sache auf sich hat. Du lässt doch sonst nicht so schnell locker, wenn du dir einmal etwas in den Kopf gesetzt hast. Warum solltest du dann dieses Mal aufgeben?«
Lena lächelte. »Gutes Argument.«
»So, und nachdem wir uns jetzt gegenseitig das Herz ausgeschüttet haben, sollten wir vielleicht endlich von hier verschwinden, meinst du nicht?«
Sie hatten die Main Street zur Hälfte hinter sich gelassen, als aus dem Schauer eine wahre Sturzflut wurde. Lena seufzte. »Immerhin sitzen wir schon im Auto.«
Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht und wandte sich Law zu. »Ezra kommt zu mir. Heute.«
In diesem Augenblick war Law verdammt froh, dass sie ihn nicht sehen konnte. Er presste die Zähne zusammen und unterdrückte einen Fluch. »Ach ja? Der Kerl kommt ziemlich schnell zur Sache, vor allem für jemanden, der nur mit dir befreundet sein will.«
Aus den Augenwinkeln heraus nahm er ihren verwirrten Gesichtsausdruck wahr, der langsam der Röte wich, als sie verstand, was er meinte. »Ähm, nicht deswegen. Schön wär’s. Er will eine Runde durch den Wald laufen und gucken, ob er irgendetwas findet.«
»Das haben die Deputys doch schon gemacht.«
»Ja.« Stirnrunzelnd zeichnete sie mit der Spitze ihres Zeigefingers einen Kreis auf die Mittelkonsole. »Aber vielleicht sind die davon ausgegangen, dass sie nichts finden würden. Meinst du nicht auch, dass jemand, der nichts zu finden erwartet, auch tatsächlich nichts finden wird?«
»Kann schon sein.« Er fuhr sich mit der Zunge über die Zähne. »Pass auf, wenn er zu dir kommt, bleibe ich auch bei dir. Bitte versteh mich nicht falsch, Lena, aber nach all diesen seltsamen Ereignissen, die du erlebt hast, vertraue ich niemandem, schon gar nicht, wenn er wie aus dem Nichts hier auftaucht. Mir egal, ob er als Bulle arbeitet, mir egal, ob er June Kings Enkelsohn ist. Von mir aus könnte er auch der Enkel von Oma Duck sein.«
Lena kicherte. »Ach Schnickschnack, Franz Gans. Aber wenn du unbedingt darauf bestehst … «
8
Eigentlich war Ezra nicht im Geringsten überrascht darüber, Law Reilly bei Lena anzutreffen.
Einerseits fest dazu entschlossen, die Grenzen der Freundschaft nicht zu übertreten, und andererseits vollkommen hingerissen von ihrem hübschen Hintern in der engen Jeans, spürte er einen Blick in seinem Nacken. Und noch bevor er aufschaute, wusste er, von wem er stammte.
Mit haselnussbraunen Argusaugen schien Lenas Kumpel ihn regelrecht zu durchbohren, und wenn Blicke hätten töten können, wäre Ezra schon lange nicht mehr unter den Lebenden gewesen. »Hey … äh, Law, richtig?«
»Er wollte auch dabei sein«, erklärte Lena knapp und deutete Richtung Wohnzimmer, wo Law im Türrahmen stand. »Setz dich doch. Ich muss nur noch meine Wanderstiefel raussuchen. Es wird wohl ziemlich matschig werden, und ich will mir nicht meine Sneakers ruinieren.«
»Du kommst mit?«
Sie legte den Kopf schief. »Ja. Was dagegen?«
»Nein.« Er registrierte die Schärfe in ihrem Tonfall und konnte sich denken, wo sie herrührte. Unsicher, wie er darauf reagieren sollte, entschied er sich für den sichersten Weg – Schweigen.
»Gut.« Sie verschwand in den ersten Stock. Law wartete noch einen Moment, bevor er Ezra zusammenstauchte. »Sie ist blind, kapiert? Nicht hilflos. Und wenn sie durch den Wald laufen will, dann kann sie das auch.«
»Hab ich mit einem Wort etwas anderes behauptet?«, fragte Ezra zurück und vergrub die Hände in den Hosentaschen.
»Noch nicht, aber fast.«
Ezra seufzte. »Pass auf, ich habe nichts in der Richtung gesagt, und ich habe es auch nicht gedacht. Vielleicht wäre mir der Gedanke noch gekommen, aber es ist doch ziemlich offensichtlich, dass die Frau gut auf sich selbst aufpassen kann.« Er wippte auf den Fußballen und musterte den Mann vor sich. »Aber darum geht’s hier doch auch gar nicht. Dich stört etwas ganz anderes an mir.«
»Mich stört gar nichts an dir. Ich kenne dich ja kaum.«
Weitere Kostenlose Bücher