Blinde Wahrheit
wählte den Stuhl, der dem Flur am nächsten stand, streckte die Beine aus und sah sich im Wohnzimmer um.
»Ja.« Law wurde sehr ernst und ließ den Blick zu Ezras Bein wandern. »Ich kann gut nachvollziehen, warum du dich erst mal wieder sammeln musst.«
Ezra kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Ihm zog sich der Magen zusammen. Ärger, Hass, Schuld – die Gefühle schienen förmlich in ihm hochzukochen. »Du hast Nachforschungen angestellt.«
»Allerdings. Anscheinend kannst du von Glück reden, dass du noch laufen kannst – oder vielmehr, dass du überhaupt noch am Leben bist. Eine angeschossene Oberschenkelschlagader – so etwas endet für viele Leute ganz übel.« Ezra meinte Mitgefühl in seinen haselnussbraunen Augen erkennen zu können. »Hab auch gehört, dass du eine Freundin verloren hast.«
Ezra musste seinen ganzen Willen aufbringen, um sich aus seiner Erstarrung zu lösen. »Wenn du das alles weißt, hast du anscheinend die richtigen Leute befragt.« Befragt – und auch Antworten bekommen. Mit wem zum Teufel hatte er gesprochen und warum zur Hölle so viel in Erfahrung gebracht? Doch Ezra ahnte schon, warum … Mit wem auch immer Law in Kontakt getreten war, die Person hatte ihm vertraut.
»Was soll ich sagen, ich bin eben neugierig. Außerdem wollte ich sichergehen, dass du auch wirklich der bist, der du vorgibst zu sein. Lena ist mir wichtig – ich würde alles dafür tun, dass sie in Sicherheit ist.«
Ezra konnte ihn durchaus verstehen, weshalb er die Sache auf sich beruhen ließ. Er holte tief Luft und musterte Law eingehend. »Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du paranoid bist?«
»Das ist Teil meiner unglaublichen Anziehungskraft.« Law zuckte gelassen mit den Schultern.
»Ich finde das nicht sonderlich anziehend. Andererseits überrascht es mich auch nicht weiter. Ich habe schon öfter gehört, dass Schriftsteller neugierige, paranoide Mistkerle sein können … nicht wahr, Ed O’Reilly?« Zu Ezras Vergnügen erstarrte Law, als er dessen Pseudonym aussprach. Sein Gesichtsausdruck verriet Überraschung und Ärger gleichermaßen.
Ezra schmunzelte zufrieden. »Ach, komm schon, du großer Krimiautor. Was hätte einer deiner Ermittler an meiner Stelle gemacht? Natürlich alle Personen überprüft, die auch nur im Entferntesten mit der Heldin in Verbindung stehen. Und das trifft eben auch auf dich zu.«
»Also hast du Nachforschungen über mich angestellt.« Law kniff die Augen zusammen.
»Allerdings.« Ezra grinste ihn an. »Mit deinen letzten paar Büchern hast du einen ziemlichen Reibach gemacht. Läuft gut für dich, wie?«
Unvermittelt kippte Laws Ärger in Belustigung um. »Weißt du, was? Ich gebe es ja nur ungern zu, weil Lena sich anscheinend gerade in dich verknallt – und wenn du ihr wehtun solltest, dann wirst du das bis an dein Lebensende bereuen – , aber ich glaube, du bist eventuell tatsächlich ein prima Kerl.«
»Dir wäre es also lieber, wenn sie sich in ein Arschloch verlieben würde?«
Law schaute ihn finster an. »Nein. Mir wäre es lieber, wenn sie sich in mich verlieben würde.« Er schaute an Ezra vorbei Richtung Treppe. »Aber das hab ich ihr nie gestanden und nun ist es wohl zu spät, es zu versuchen.«
Als sie wieder ins Erdgeschoss kam, unterhielten sich die beiden Männer gerade über Bücher.
Law wirkte lebhaft und aufgekratzt, wie immer, wenn er auf einen anderen Bücherwurm traf. Lächelnd blieb sie im Türrahmen stehen. »Ach, wie niedlich. Da haben sich wohl zwei Leseratten gefunden.«
»Dein Bulle hat nicht die leiseste Ahnung, wovon er spricht. Er glaubt, Dean Koontz wäre die Krönung der modernen Literatur«, erwiderte Law mit abschätzigem Tonfall.
»Gott bewahre!«, entgegnete Lena ironisch. »Geschmacklich dermaßen danebenzuliegen, das muss ja schon wehtun. Dabei weiß doch jeder, dass das Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Linda Howard, Lynn Viehl und Nora Roberts noch nicht entschieden ist.«
»Lena, du enttäuschst mich.« Law seufzte.
Doch sie lachte nur und schüttelte den Kopf. »Du wirst es überleben. Ich muss noch den Hund rauslassen, bevor wir gehen.«
»Nimmst du ihn nicht mit?«, fragte Law.
Lena verzog das Gesicht. »Nein. Derzeit mag er den Wald nicht so besonders. Ich nehme meinen Stock mit. Dann hake ich mich noch bei dir ein, und mir kann nichts mehr passieren.« Sie fuhr sich durchs Haar und zuckte mit den Schultern. »In eurer Begleitung könnte ich ihn wahrscheinlich dazu bringen, in den Wald zu laufen,
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