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Blinde Weide, Schlafende Frau

Titel: Blinde Weide, Schlafende Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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fahle Dunkelheit. Vielleicht, um die verlorene Zeit aufzuholen, schoss es in eiligem Bogen am Rand des Tanks entlang, verweilte gerade so lange, bis seine Lichtspur sich in der Brise aufgelöst hatte, und flog schließlich nach Osten davon.
    Auch nachdem das Glühwürmchen längst verschwunden war, blieb die Spur seines Lichtes in mir zurück. Im dichten Dunkel meiner geschlossenen Lider glomm sein schwaches Licht wie ein verirrter, umherwandernder Geist.
    Immer wieder streckte ich die Hand in die Dunkelheit, doch meine Finger fühlten nichts. Das kleine Glimmen blieb unerreichbar.

Der Zufallsreisende
     
Prolog

    Das »Ich« in diesem Text bin ich, Haruki Murakami, der Autor. Die eigentliche Geschichte wird in der dritten Person erzählt, doch erlaube ich mir als ihr Erzähler, wie in einem antiken Theaterstück zuvor die Bühne zu betreten und einen Prolog zu sprechen, ehe ich mich mit einer Verbeugung wieder zurückziehe.
    Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
    Der Grund für meinen Auftritt besteht darin, dass ich zunächst von einigen »seltsamen Begebenheiten« berichten möchte, die ich selbst erlebt habe. Eigentlich hat es in meinem Leben immer wieder solche Ereignisse gegeben. Einige davon waren von großer Bedeutung für mich und haben mein Leben mehr oder weniger verändert. Andere wiederum hatten kaum oder vielleicht gar keinen Einfluss.
    Doch wenn ich sie in einer Runde erwähne, rufen sie kaum Reaktionen hervor. Meist werden sie sogleich mit unverbindlichen Äußerungen wie »ja, es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde …« abgetan, und es kommt kein Gespräch darüber zustande. Niemand greift das Thema auf und sagt: »Ja, etwas Ähnliches habe ich auch einmal erlebt.« Sooft ich es anschneide, ist es wie Wasser, das in die falsche Rinne fließt und im Sande versickert. Ein kurzes Schweigen tritt ein, dann wechselt unweigerlich jemand das Thema.
    Zuerst dachte ich, es läge an meiner Art zu erzählen. Also schrieb ich sie einmal als Essay nieder; vielleicht, dachte ich, nehmen die Menschen sie dann ernster. Doch es zeigte sich, dass mir das Beschriebene niemand glaubte. »Das haben Sie doch erfunden, nicht wahr?«, bekam ich immer wieder zu hören. Da ich Romancier bin, halten die Leute alles, was ich sage, für mehr oder weniger fiktiv. Gewiss sind meine Geschichten fiktiv – das ist immerhin eine Eigenschaft der schönen Literatur. Aber wenn ich gerade nicht am Geschichtenschreiben bin, erfinde ich doch nicht andauernd absichtlich unsinnige Dinge.
    Als Einführung zur anschließenden Geschichte möchte ich kurz zwei meiner eigenen seltsamen Erlebnisse schildern. Dabei werde ich mich auf belanglose beschränken, denn solche, die mein Leben verändert haben, würden den vorgesehenen Rahmen sprengen.

    Von 1993 bis 1995 lebte ich in Cambridge, Massachusetts. Ich war Writer in residence an einer Universität und arbeitete an dem Roman Mister Aufziehvogel . Am Charles Square in Cambridge gab es den Jazzclub Regattabar, in dem häufig Live-Auftritte stattfanden. Das Lokal hatte genau die richtige Größe und eine sehr entspannte Atmosphäre. Obwohl dort berühmte Jazzmusiker auftraten, waren die Eintrittspreise maßvoll.
    Für einen Abend war der Pianist Tommy Flanagan mit seinem Trio angekündigt. Meine Frau hatte etwas anderes vor, also ging ich allein hin. Tommy Flanagan ist einer meiner persönlichen Lieblingspianisten. Er ist häufig als Begleitmusiker aufgetreten, und seine Darbietungen hatten stets eine Wärme, Tiefe und Sicherheit, die ich bewundere. Noch lieber mochte ich ihn als Solisten.
    Also setzte ich mich dicht an die Bühne, um bei einem Glas kalifornischem Merlot seinen Auftritt zu genießen. Doch um ehrlich zu sein, an diesem Abend war er ein bisschen enttäuschend. Vielleicht fühlte er sich nicht wohl. Oder er war nicht in Stimmung, weil es noch so früh war. Er war nicht gerade schlecht, aber es fehlte das gewisse Etwas, das uns in eine andere Welt entrückt. Vielleicht könnte man sagen, es fehlte der magische Funke. Das kann er doch besser, dachte ich beim Zuhören, warte mal ab, bis er in Fahrt kommt.
    Aber die Zeit verging, und er wurde nicht besser. Als das Ende seines Auftritts sich näherte, wurde ich nervös. Ich wollte diesen Abend als etwas Besonderes in Erinnerung behalten, aber so würde nur ein lauer Eindruck zurückbleiben. Oder womöglich gar keiner. Vielleicht würde ich nie mehr Gelegenheit haben, Tommy Flanagan live zu sehen (was sich auch bewahrheitet

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