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Blinde Weide, Schlafende Frau

Titel: Blinde Weide, Schlafende Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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wirst?«
    »Genau.«
    »Wenn du abgelenkt würdest, könntest du die Ausgewogenheit verlieren, und das wäre ein Hindernis für deine Karriere.«
    »So ist es.«
    »Und um dieses Risiko zu vermeiden, willst du mit niemandem zusammenleben.«
    Sie nickte. »Zumindest nicht, solange ich meinen Beruf ausübe.«
    »Aber du sagst mir nicht, was du tust.«
    »Du musst es erraten.«
    »Du bist Einbrecherin.«
    »Nein«, antwortete Kirie mit ernstem Gesicht, das jedoch gleich einer amüsierten Miene wich. »Eine charmante Idee, aber Einbrecherinnen gehen nicht morgens zur Arbeit.«
    »Dann ein Killer?«
    »Killer in «, verbesserte sie ihn. »Nein. Was bringt dich nur auf so schreckliche Ideen?«
    »Also ist das, was du machst, völlig legal?«
    »Natürlich.«
    »Geheimagentin?«
    »Nein. Lassen wir das Thema für heute. Reden wir lieber über deine Arbeit. Woran schreibst du gerade?«
    »An einer Kurzgeschichte«, sagte Junpei.
    »Worum geht’s?«
    »Ich habe sie noch nicht fertig, ich lege gerade eine Pause ein.«
    »Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich gern hören, was bis jetzt darin passiert ist.«
    Junpei schwieg. Irgendwann einmal hatte er beschlossen, nicht über den Inhalt unfertiger Arbeiten zu sprechen. Es war eine Art Aberglauben. Hätte er erst einmal darüber gesprochen, würde sich etwas aus ihnen verflüchtigen wie Tau. Feine Nuancen würden sich in Plattitüden verwandeln, Geheimnisse wären keine Geheimnisse mehr. Aber hier im Bett, während er mit der Hand durch Kiries kurzes Haar fuhr, fühlte Junpei sich sicher genug, ihr davon erzählen. Er war ohnehin blockiert und schon mehrere Tagen nicht vorangekommen.
    »Die Geschichte wird in der dritten Person aus der Perspektive einer Frau erzählt. Sie ist Anfang dreißig«, begann er. »Und eine tüchtige Internistin, die in einem großen Krankenhaus arbeitet. Sie ist ledig, hat aber eine heimliche Affäre mit einem etwa vierzigjährigen Chirurgen, der in derselben Klinik beschäftigt ist. Er ist verheiratet und hat Kinder.«
    Kirie stellte sich die Personen vor. »Ist sie hübsch?«
    »Ich glaube schon«, sagte Junpei. »Nicht so hübsch wie du natürlich.«
    Kirie lachte und küsste ihn auf den Hals. »Das war die richtige Antwort.«
    »Ich gebe immer die richtigen Antworten, wenn es nötig ist.«
    »Besonders im Bett.«
    »Besonders im Bett«, sagte er. »Als sie Urlaub hat, unternimmt sie allein eine kleine Reise. Die Jahreszeit ist die gleiche wie jetzt, Herbst. Sie ist in einem kleinen Kurbad in den Bergen und geht an einem Bach spazieren. Sie beobachtet gern Vögel, besonders aber Eisvögel. Als sie in das trockene Bachbett hinuntersteigt, findet sie dort einen seltsamen Stein. Er ist glatt, schwarz mit einem rötlichen Schimmer, und hat eine vertraute Form. Wie eine Niere, das erkennt sie sofort. Schließlich ist sie Ärztin. Alles an diesem Stein gleicht einer Niere, seine Größe, die Farbe, die Form.«
    »Also hebt sie ihn auf und nimmt ihn mit.«
    »Genau«, sagte Junpei. »Sie nimmt ihn mit in ihr Büro im Krankenhaus und benutzt ihn als Briefbeschwerer. Größe und Gewicht sind genau richtig.«
    »Und er hat die ideale Form für ein Krankenhaus.«
    »Stimmt«, sagte Junpei. »Doch nach einigen Tagen fällt ihr etwas Sonderbares auf.«
    Kirie wartete stumm darauf, dass er weitererzählte. Junpei machte eine Pause, als wollte er seine Zuhörerin absichtlich auf die Folter spannen, doch das war gar nicht seine Absicht. Vielmehr war er an diesem Punkt steckengeblieben. Er war an eine Kreuzung ohne Wegweiser gelangt und hielt nun in alle Richtungen Ausschau nach einer Idee für die Fortsetzung seiner Geschichte. Nun aber kam er darauf, wie die Geschichte weitergehen könnte.
    »Jeden Morgen findet sie den Stein an einer anderen Stelle vor. Da die Ärztin ein systematischer Mensch ist, lässt sie ihn abends, wenn sie nach Hause geht, immer an derselben Stelle auf ihrem Schreibtisch liegen. Doch am Morgen findet sie ihn auf dem Drehstuhl, neben einer Vase oder auf dem Boden wieder. Anfangs glaubt sie, sie täusche sich. Dann fragt sie sich, ob mit ihrem Gedächtnis etwas nicht stimmt. Die Tür zu ihrem Büro ist immer verschlossen, und niemand anderes hat Zutritt. Natürlich hat der Nachtwächter einen Schlüssel, aber er arbeitet schon seit Jahren in dem Krankenhaus und würde nie eigenmächtig ein Büro betreten. Und warum sollte er auch jede Nacht in ihr Zimmer eindringen, um einen Briefbeschwerer zu verrücken? Sonst verändert sich nichts,

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