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Blinde Weide, Schlafende Frau

Titel: Blinde Weide, Schlafende Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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mir gratulierte.«
    Abermals nickte ich. »Klar«, sagte ich.
    »Also wünschte ich mir etwas.«
    Der alte Herr blickte sie eine Weile wortlos an. Auf dem Schreibtisch lagen ein paar dicke Ordner – Rechnungsbücher vielleicht –, und Schreibgerät. Ein Kalender und eine Lampe mit grünem Schirm waren auch vorhanden. Neben ihnen wirkten seine zierlichen Hände wie ein Teil des Inventars. Unablässig schlugen die Regentropfen an die Fensterscheiben und ließen die Beleuchtung des Tokyo-Tower dahinter verschwimmen.
    Die Falten des Alten schienen sich ein wenig zu vertiefen.
    »Das ist also Ihr Wunsch?«, sagte er.
    »Ja.«
    »Ein sonderbarer Wunsch für ein Mädchen Ihres Alters. Ehrlich gesagt, ich hatte etwas ganz anderes erwartet.«
    »Wenn es nicht geht, kann ich mir ja etwas anderes wünschen«, sagte sie und räusperte sich. »Das macht nichts. Mir fällt schon was ein.«
    »Nein, nein!« Der alte Mann hob die Hände und schwenkte sie wie Fähnchen. »Ihr Wunsch ist völlig in Ordnung. Ich war nur überrascht. Und Sie möchten wirklich nichts anderes? Zum Beispiel, schöner, intelligenter oder reicher sein – etwas, das ein normales junges Mädchen sich gewünscht hätte?«
    Sie brauchte einen Moment, um die richtigen Worte zu finden. Der alte Mann wartete geduldig und schweigsam, derweil seine beiden Hände auf dem Schreibtisch ruhten.
    »Natürlich wäre ich gern schöner, intelligenter oder reicher. Aber ich kann mir die Auswirkungen nicht so recht vorstellen, falls so etwas tatsächlich einträte. Vielleicht würde es mir sogar über den Kopf wachsen. Ich habe das Leben noch gar nicht richtig im Griff. Wirklich nicht. Ich weiß nicht, wie es funktioniert.«
    »Ich verstehe.« Der alte Herr verschränkte die Finger und löste sie wieder.
    »Also sind Sie mit meinem Wunsch einverstanden?«
    »Natürlich«, sagte der Alte. »Natürlich. Von meiner Seite gibt es da keine Schwierigkeiten.«
    Er starrte nun auf einen Punkt im Raum. Die Falten auf seiner Stirn wurden noch tiefer. Fast war es, als lege er beim Nachdenken auch sein Gehirn in Falten. Er schien etwas in der Luft schweben zu sehen – so etwas wie eine winzige Feder, die vielleicht nur für ihn sichtbar war. Er breitete die Arme aus, erhob sich leicht vom Stuhl und klatschte energisch und mit einem kurzen trockenen Knall in die Hände. Dann setzte er sich wieder. Er strich sich mit den Fingerspitzen über die Stirnfalten, wie um sie zu glätten, und lächelte sie ruhig an.
    »Das war’s. Ihr Wunsch ist erfüllt.«
    »So schnell?«
    »Ja, das war nicht schwer«, sagte der Alte. »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, mein schönes Fräulein. Seien Sie unbesorgt, ich stelle den Wagen später in den Korridor. Sie können wieder an Ihre Arbeit gehen.«
    Sie fuhr mit dem Aufzug zurück ins Restaurant. Da sie nun nichts mehr bei sich hatte, fühlten sich ihre Schritte unangenehm leicht an, als ginge sie über etwas Flaumiges hinweg.
    Der jüngere Kellner sprach sie an. »Was war denn? Du siehst irgendwie weggetreten aus.«
    Sie lächelte unverwandt und schüttelte den Kopf. »Wirklich? Aber es ist nichts.«
    »Wie ist denn der Chef so?«
    »Keine Ahnung, ich habe ihn nicht so genau gesehen«, erwiderte sie abweisend.
    Nach anderthalb Stunden holte sie das Geschirr ab, das auf dem Wagen im Korridor stand. Als sie den Deckel der Terrine hochhob, sah sie, dass alles fein säuberlich aufgegessen war. Die Weinflasche und die Kaffeekanne waren leer. Die Tür von Zimmer 604 war nun geschlossen und wirkte anonym. Stumm starrte sie einige Augenblicke darauf, als könne sie sich jeden Moment öffnen. Aber nichts geschah. Sie brachte den Servierwagen wieder nach unten und schob ihn in die Spülküche. Mit einem beiläufigen Nicken vergewisserte sich der Koch, ob das Geschirr leer war.
    »Ich habe den Inhaber nie wieder gesehen«, sagte sie. »Im Nachhinein stellte sich heraus, dass der Geschäftsführer nur ganz gewöhnliche Bauchschmerzen gehabt hatte. Schon am nächsten Tag brachte er das Essen wieder selbst hinauf. Im neuen Jahr kündigte ich meine Stelle, und seither war ich nie wieder in dem Restaurant. Ich weiß nicht wieso, aber ich habe das Gefühl, ich sollte mich lieber von dort fern halten. Es ist nur so eine Ahnung.«
    Gedankenverloren spielte sie mit ihrem Bierdeckel. »Manchmal glaube ich, dass ich mir das, was an meinem zwanzigsten Geburtstag geschehen ist, nur eingebildet habe. Oder ich frage mich, ob ich mir durch irgendwelche Umstände da

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