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Blinde Weide, Schlafende Frau

Titel: Blinde Weide, Schlafende Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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hatte, war mir ganz spontan nur das Wort Zwergtaucher eingefallen.
    »Doch, Zwergtaucher«, beharrte ich entschieden. »Der handtellergroße Zwergtaucher schmeckt so widerlich, dass nicht mal Hunde ihn fressen.«
    »He, Moment mal«, sagte er. »Sie können sagen, was Sie wollen, Zwergtaucher ist nicht das Passwort. Falsch bleibt falsch.«
    »Aber ein Zwergtaucher hat mit Wasser zu tun, findet auf einer Handfläche Platz, und man kann ihn nicht essen. Außerdem hat das Wort zwölf Buchstaben. Es muss richtig sein.«
    »Sie irren sich trotzdem.«
    »Inwiefern?«
    »Zwergtaucher ist nicht das Passwort.«
    »Was dann?«
    Er war einen Moment lang sprachlos. »Das kann ich nicht sagen.«
    »Weil es keins gibt«, entgegnete ich so eisig, wie ich konnte. »Es gibt nichts, das zwölf Buchstaben hat, mit Z anfängt, mit Wasser zu tun hat und handtellergroß ist.«
    »Doch, es gibt etwas. Wirklich«, jammerte er, den Tränen nah.
    »Nein, gibt es nicht.«
    »Doch.«
    »Sie haben keinen Beweis dafür«, sagte ich. »Außerdem erfüllt Zwergtaucher sämtliche Bedingungen.«
    »Trotzdem könnte es doch vielleicht einen Hund geben, dem der handtellergroße Zwergtaucher schmeckt.«
    »Dann zeigen Sie mir einen konkreten Beweis dafür, dass es einen solchen Hund gibt.«
    »Uff«, stöhnte er.
    »Ich weiß alles über Hunde, aber ich habe noch nie einen gesehen, der handtellergroße Zwergtaucher mag.«
    »Schmecken die wirklich so eklig?«, fragte er eingeschüchtert.
    »Entsetzlich eklig.«
    »Haben Sie schon mal einen gegessen?«
    »Noch nie. Warum sollte ich vorsätzlich so etwas Ekelhaftes essen?«
    »Stimmt auch wieder«, sagte er.
    »Seien Sie so gut und melden Sie mich jetzt Ihrem Vorgesetzten«, sagte ich streng. »Zwergtaucher.«
    »Da kann man nichts machen«, sagte er und rubbelte sich die Haare mit dem Handtuch. »Dann melde ich Sie eben an, aber ich weiß jetzt schon, dass es keinen Zweck hat.«
    »Danke«, sagte ich. »Ich bin Ihnen sehr verbunden.«
    »Aber den handtellergroßen Zwergtaucher gibt es wirklich?«
    »Ganz bestimmt gibt es ihn irgendwo«, sagte ich. Wie in aller Welt war ich nur plötzlich auf Zwergtaucher gekommen?

    Der handtellergroße Zwergtaucher putzte seine Brillengläser mit einem Samtläppchen und seufzte zum wiederholten Male. Sein rechter Backenzahn pochte schmerzhaft. Wieder zum Zahnarzt, dachte er. Ich habe es satt. Das Leben ist voller Plagen. Zahnärzte, Steuererklärungen, monatliche Ratenzahlungen für den Wagen, defekte Klimaanlagen … Er ließ den Kopf in den Ledersessel zurücksinken, schloss die Augen und dachte über den Tod nach. Der Tod, still wie der Meeresgrund und lieblich wie Rosen im Mai. Der Zwergtaucher hatte in diesen Tagen viel über den Tod nachgedacht und sich vorgestellt, wie er starb und ewige Ruhe fand.
    » Hier ruht der Handtellergroße Zwergtaucher «, war in den Grabstein eingemeißelt.
    In diesem Moment summte seine Sprechanlage.
    »Was ist?«, schrie er ärgerlich in den Apparat.
    »Ein Besucher«, sagte der Türhüter. »Anscheinend soll er heute hier anfangen. Er hat das Passwort genannt.«
    Der handtellergroße Zwergtaucher runzelte die Stirn und blickte auf die Uhr. »Fünfzehn Minuten Verspätung.«

Menschenfressende Katzen
    In einer Zeitung, die ich am Hafen gekauft hatte, stieß ich auf einen Artikel über eine alte Frau, die von ihren drei Katzen angefressen worden war. Die tragische Geschichte hatte sich in einer kleinen Stadt in der Nähe von Athen abgespielt. Die Verstorbene war siebzig Jahre alt gewesen und hatte still für sich mit ihren drei Katzen in einer Einzimmerwohnung gelebt. Eines Tages bekam sie einen Herzanfall oder etwas Ähnliches, stürzte bäuchlings auf ihr Sofa und starb. Wie viel Zeit zwischen ihrem Zusammenbruch und ihrem Tod verging, war nicht bekannt. Da sie weder Verwandte noch Freunde hatte, die sie regelmäßig besuchten, wurde ihre Leiche erst eine Woche später entdeckt.
    Fenster und Türen waren geschlossen, sodass die Katzen nach dem Tod ihres Frauchens nicht hinaus konnten. In der Wohnung gab es nichts zu fressen für sie. Sicher wäre im Kühlschrank etwas gewesen, doch unglücklicherweise können Katzen keine Kühlschranktüren öffnen. Irgendwann machten sich die halb verhungerten Tiere dann über das Fleisch ihrer toten Besitzerin her.
    Izumi und ich saßen im Café, während ich ihr den Artikel vorlas. Bei schönem Wetter gingen wir meist zum Hafen, kauften die aus Athen gelieferte englischsprachige Zeitung,

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