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Blinde Weide, Schlafende Frau

Titel: Blinde Weide, Schlafende Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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gehört. Für alle Fälle muss ich Sie bei meinem Vorgesetzten anmelden. Es ist meine Aufgabe, die Tür zu öffnen und dem Chef die Besucher anzukündigen.«
    »Bitte, tun Sie das.«
    »Zuerst das Passwort.«
    »Passwort?«
    »Sie wissen nichts von dem Passwort?«
    Verwundert schüttelte ich den Kopf. »Davon hat man mir nichts gesagt.«
    »Das ist schlecht. Ich habe ausdrücklichen Befehl von oben, niemanden einzulassen, der das Passwort nicht kennt.«
    Von einem Passwort hatte ich noch nie etwas gehört. Ich holte noch einmal die Postkarte hervor, aber es stand nichts von einem Passwort darauf.
    »Bestimmt hat man vergessen, es dazuzuschreiben«, sagte ich. »Die Wegbeschreibung war auch nicht ganz richtig. Könnten Sie mich nicht trotzdem Ihrem Vorgesetzten melden? Dann klärt sich bestimmt alles auf. Ich soll heute hier anfangen. Ihr Vorgesetzter weiß sicher Bescheid. Sie müssten mich nur ankündigen.«
    »Aber dazu brauche ich das Passwort.« Er tastete seinen Bademantel nach Zigaretten ab, bis ihm klar wurde, dass der Bademantel keine Taschen hatte. Ich bot ihm eine von meinen an und gab ihm Feuer.
    »Oh, vielen Dank«, sagte er. »Und Sie können sich wirklich an kein Passwort erinnern?«
    Die Frage war überflüssig. Ein Passwort, das ich weder gehört noch gesehen hatte, konnte mir nicht plötzlich einfallen. Ich schüttelte den Kopf.
    »Mir gefällt diese lästige Prozedur auch nicht, aber der Chef hat sicher seine Gründe. Das verstehen Sie doch? Ich weiß nicht, was für ein Mensch er ist, bin ihm nie begegnet. Aber solchen Leuten fällt ja immer alles Mögliche ein. Bitte nehmen Sie es nicht persönlich.«
    »Nein, natürlich nicht.«
    »Meinen Vorgänger haben sie rausgeschmissen, weil er aus Mitleid einen Typ angemeldet hat, der sein Passwort vergessen hatte – einfach mir nichts dir nichts rausgeschmissen. Und Sie wissen ja selbst, wie schwer es heutzutage ist, Arbeit zu finden.«
    Ich nickte. »Was mache ich denn jetzt? Können Sie mir nicht einen Tipp geben?«
    Gegen die Tür gelehnt, blies der Mann den Rauch in die Luft. »Das wäre gegen die Vorschrift.«
    »Ein ganz winziger Hinweis wäre doch sicher drin.«
    »Aber wenn es rauskommt, bin ich dran.«
    »Ich halte den Mund, Sie halten den Mund. Wie soll da was rauskommen?«, sagte ich. Für mich war die Sache bitterer Ernst. Ich würde nicht so einfach abziehen.
    Nachdem der Mann ein bisschen gezögert hatte, flüsterte er mir ins Ohr. »Sind Sie bereit? Es hat mit Wasser zu tun und ist handtellergroß, aber man kann es nicht essen.«
    Jetzt war ich an der Reihe nachzudenken.
    »Mit welchem Buchstaben fängt es an?«
    »Mit Z.«
    »Zerstäuber«, sagte ich.
    »Falsch«, erwiderte er. »Jetzt noch zwei.«
    »Zwei was?«
    »Versuche. Wenn Sie noch zweimal daneben raten, ist Schluss. Tut mir leid, aber für mich ist es sowieso schon gefährlich, die Vorschriften zu missachten. Ich kann Sie nicht ewig weiterraten lassen.«
    »Ich bin Ihnen ja auch sehr dankbar, dass Sie mir diese Chance geben«, sagte ich. »Aber könnten Sie mir nicht noch einen klitzekleinen Hinweis geben? Zum Beispiel, wie viele Buchstaben das Wort hat …«
    Der Mann machte ein verdrießliches Gesicht. »Warum nicht gleich das ganze Wort?«
    »Das würde ich nie verlangen.« Ich stellte mich naiv. »Nur die Anzahl der Buchstaben, bitte.«
    »Es sind zwölf.« Er seufzte ergeben. »Wie mein Vater immer gesagt hat: Putze jemandem die Schuhe, und er verlangt, dass du ihm die Schnürsenkel bindest.«
    »Tut mir wirklich leid«, sagte ich.
    »Jedenfalls hat es zwölf Buchstaben.«
    »Es hat mit Wasser zu tun, passt auf eine Handfläche und ist nicht essbar.«
    »Stimmt genau.«
    »Fängt mit Z an und hat zwölf Buchstaben.«
    »Richtig.«
    Ich dachte nach.
    »Zwergtaucher«, sagte ich.
    »Nein, außerdem kann man einen Zwergtaucher essen.«
    »Meinen Sie?«
    »Ich glaube schon. Vielleicht schmeckt er nicht besonders, aber essen könnte man ihn doch, oder?«, sagte er nicht ganz überzeugt. »Und er passt auch nicht auf eine Handfläche.«
    »Haben Sie schon mal einen gesehen?«
    »Nein«, sagte er. »Ich weiß nichts über Vögel. Ich bin in Tokyo aufgewachsen. Ich könnte Ihnen alle Haltestellen der Yamanote-Bahnlinie der Reihe nach aufzählen, aber einen Zwergtaucher oder so was habe ich noch nie gesehen. Ich weiß nicht mal, wie einer aussieht.«
    Auch ich hatte noch nie in meinem Leben einen Zwergtaucher gesehen. Aber zu einem Tier, das mit Z anfing und zwölf Buchstaben

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