Blinde Weide, Schlafende Frau
die Schallplatten verschwunden waren, war Tony Takitani wirklich allein.
Aufstieg und Fall von Knasper
Als ich eines Morgens gemütlich die Zeitung durchblätterte, stieß ich auf folgende Anzeige: »Knasper, die süße Delikatesse von Weltruf. Kampagne für neue Produkte. Große Informationsveranstaltung.«
Mir war unklar, was genau »Knasper« war, doch offenbar handelte es sich um eine Süßigkeit. Ich bin sehr wählerisch, was Süßigkeiten angeht. Zeit hatte ich auch, also beschloss ich, mir die »Große Informationsveranstaltung« einmal anzusehen.
Sie fand im Saal eines Hotels statt, und Tee und Süßigkeiten – natürlich »Knasper« – wurden serviert. Ich probierte einen, aber er schmeckte mir nicht besonders. Er war aufdringlich süß und die Kruste viel zu trocken. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass junge Leute heutzutage so etwas noch essen wollten.
Doch alle Teilnehmer der Veranstaltung waren etwa in meinem Alter oder jünger. Ich erhielt die Nummer 952, aber nach mir kamen noch ungefähr hundert Personen, das heißt, über tausend Leute nahmen an der Veranstaltung teil. Eine große Sache.
Neben mir saß ein etwa zwanzigjähriges Mädchen mit einer dicken Brille. Sie war keine Schönheit, wirkte aber sehr sympathisch.
»Hast du vorher schon mal einen von diesen Knaspern gegessen?«, fragte ich.
»Natürlich«, erwiderte sie. »Die sind doch berühmt.«
»Aber so besonders gut …«, setzte ich an, als sie mir einen Tritt versetzte. Die Leute um uns herum warfen mir böse Blicke zu. Aber ich sah einfach mit meinem harmlosesten Pu-der-Bär-Gesicht durch sie hindurch.
»Bist du verrückt?«, flüsterte sie mir ins Ohr. »Hierher zu kommen und über Knasper zu lästern? Wenn die Knasperkrähen dich einmal haben, kommst du hier nicht mehr lebend raus.«
»Knasperkrähen?«, rief ich erstaunt. »Was sind denn Knasperkrähen …?«
»Pscht«, sagte das Mädchen. Die Veranstaltung begann.
Der Firmenchef referierte die Entstehungsgeschichte des Knaspers. Es war einer dieser fragwürdigen Berichte, die einem weismachen, jemand habe im 8. Jahrhundert zufällig dies und jenes miteinander zum ersten Knasper verbraten. Es gebe sogar einen Fünfzeiler über Knasper in der kaiserlichen Sammlung der Gedichte aus alter und neuer Zeit vom Anfang des 10. Jahrhunderts. Ich wäre fast laut herausgeplatzt, aber da alle mit ernster Miene zuhörten, hielt ich mich zurück. Außerdem hatte ich Angst vor den Knasperkrähen.
Die Ausführungen des Firmenchefs nahmen etwa eine Stunde in Anspruch. Ich langweilte mich entsetzlich. Eigentlich wollte er nur sagen, dass Knasper auf eine lange Tradition zurückblicken könne. Dafür hätte ein Satz völlig genügt.
Anschließend sprach der Direktor über die Notwendigkeit von Innovationen. Auch ein traditionsreiches Unternehmen von nationaler Bedeutung brauche hin und wieder frisches Blut, um sich dialektisch zu entwickeln und auf der Höhe der Zeit zu bleiben. Das hörte sich gut an, hieß aber im Grunde nur, dass der Geschmack von Knasper veraltet war und die Verkaufszahlen sanken, weshalb die Firma neue Ideen von jungen Leuten brauchte. Er hätte es eindeutiger formulieren können.
Auf dem Weg nach draußen bekam ich ein Bewerbungsformular. Man musste innerhalb eines Monats eine auf Knasper basierende Süßigkeit zubereiten und einreichen. Zu gewinnen gab es zweihunderttausend Yen. Damit könnte ich meine Freundin heiraten und in eine neue Wohnung ziehen. Ich beschloss, einen neuen Knasper zu kreieren.
Wie ich schon sagte, bin ich sehr wählerisch, was Süßigkeiten angeht. Und ich kann jede Art von Bohnengelee, Kremfüllungen und Kuchenteig zubereiten. Es war für mich ein Leichtes, innerhalb eines Monats eine neue, modernere Knasper variante herzustellen. Am Stichtag fertigte ich zwei Dutzend Knasper nach eigenem Rezept an und gab sie am Empfang der Firma ab.
»Die sehen ja lecker aus!«, sagte das Mädchen, das dort arbeitete.
»Die sind auch lecker«, sagte ich.
Nach einem Monat wurde ich telefonisch für den folgenden Tag in die Firma gebeten. Ich band mir einen Krawatte um und brach zu Knaspers auf. Im Empfangszimmer begrüßte mich der Direktor.
»Der neue Knasper, den Sie eingereicht haben, hat großen Anklang in unserer Firma gefunden«, sagte er. »Äh – besonders bei den jüngeren Angestellten.«
»Das freut mich«, sagte ich.
»Andererseits aber finden einige der älteren Firmenmitglieder, dass – ähem – Ihr Produkt kein echter
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