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Blinde Weide, Schlafende Frau

Titel: Blinde Weide, Schlafende Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Knasper mehr ist. Im Augenblick haben wir eine heftige Debatte.«
    »Aha.« Ich fragte mich, was er mir eigentlich sagen wollte.
    »Daher hat die Direktorenkonferenz beschlossen, Ihro Gnaden die Knasperkrähen entscheiden zu lassen.«
    »Knasperkrähen!«, rief ich. »Wer oder was soll das denn sein?«
    Der Direktor starrte mich ungläubig an. »Sie haben an dem Wettbewerb teilgenommen, ohne von den Knasperkrähen zu wissen?«
    »Tut mir leid, aber ich lebe sehr zurückgezogen.«
    »Das ist mir äußerst unangenehm.« Er schüttelte den Kopf. »Also, dass Sie die Herrschaften Knasperkrähen nicht kennen … Nun ja, nichts zu machen. Bitte, folgen Sie mir.«
    Wir verließen den Raum, gingen einen Gang entlang und fuhren mit dem Fahrstuhl in den fünften Stock, wo wir wieder einem Gang bis zu einer großen Eisentür folgten. Der Direktor drückte einen Summer, und ein vierschrötiger Wachmann erschien. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass es sich um den Direktor handelte, öffnete er die Tür. Offenbar waren die Sicherheitsvorkehrungen sehr streng.
    »Hier residieren die Knasperkrähen«, erklärte der Direktor. »Es handelt sich um eine besondere Spezies, die sich seit Jahrhunderten ausschließlich von Knaspern ernährt …«
    Jede weitere Erklärung erübrigte sich. Über hundert Krähen hockten auf den Stangen, von denen mehrere die etwa fünf Meter hohe, Silo-ähnliche Halle durchzogen. Die Knasperkrähen waren wesentlich größer als ihre gewöhnlichen Artgenossen, ungefähr einen Meter lang, die kleinsten vielleicht sechzig Zentimeter. Mir fiel auf, dass sie dort, wo sich normalerweise die Augen befinden, nur weiße Fettklümpchen hatten. Ihre Körper waren bis fast zum Platzen aufgedunsen.
    Als sie uns hörten, begannen sie mit den Flügeln zu schlagen und etwas zu rufen. Zuerst hörte ich nur Gekreisch, aber als sich meine Ohren daran gewöhnt hatten, kam es mir so vor, als riefen sie »Knasper, Knasper«. Es waren wirklich furchterregende Vögel.
    Als der Direktor aus einer Schachtel, die er mitgebracht hatte, Knasper auf dem Boden verstreute, stürzten sich alle hundert Vögel auf einmal darauf. In ihrer Gier nach den Knaspern pickten sie sich gegenseitig in Beine und Fettaugen. Du meine Güte, kein Wunder, dass ihre Augen draufgegangen sind, dachte ich.
    Als Nächstes warf der Direktor ihnen aus einem anderen Kasten ein knasperähnliches Gebäck hin.
    »Schauen Sie, die sind bei dem Wettbewerb durchgefallen.«
    Die Krähen stürzten sich darauf, aber als sie merkten, dass es keine Knasper waren, spuckten sie alles aus und kreischten:
    Knasper!
    Knasper!
    Knasper!
    Ihre Schreie gellten von der Decke wider, dass mir die Ohren wehtaten.
    »Sehen Sie, sie essen nur echte Knasper«, erklärte der Direktor stolz. »Fälschungen rühren sie nicht an.«
    Knasper!
    Knasper!
    Knasper!
    »Jetzt gebe ich ihnen mal Ihre Version. Wenn sie die essen, haben Sie gewonnen, wenn nicht, sind Sie durchgefallen.«
    Ich war nicht sicher, ob das die richtige Methode war. Eine unheilvolle Ahnung beschlich mich. Welche Idiotie, den Wettbewerb von irgendwelchen Vögeln entscheiden zu lassen! Ungeachtet meiner Vorbehalte verstreute der Direktor meinen Wettbewerbsbeitrag auf dem Boden. Wieder stürzten sich die Krähen darauf. Dann brach die Hölle los. Einige Krähen fraßen zufrieden davon, während andere das Gebäck ausspuckten und »Knasper!« schrieen. Und wieder andere, die an die neuen Knasper nicht herankamen, wurden von einer Hysterie ergriffen und hackten nach den Hälsen der Fressenden. Das Blut spritzte nur so. Einer der Vögel stürzte sich auf ein Stück, das ein anderer ausgespuckt hatte, aber eine riesige Krähe schnappte »Knasper« kreischend danach und riss ihm den Bauch auf. Krieg brach aus. Blut schrie nach Blut, und Hass schrie nach Hass. Bloß wegen einem blöden Keks, der den Krähen jedoch alles bedeutete. Knasper oder nicht Knasper – es war eine Frage auf Leben und Tod.
    »He, sehen Sie mal, was Sie angerichtet haben«, sagte ich zu dem Direktor. »Jetzt drehen sie durch.«
    Dann ging ich allein hinaus, fuhr mit dem Aufzug nach unten und verließ das Gebäude. Es war zwar schade um die zweihunderttausend Yen Preisgeld, aber für nichts in der Welt würde ich den Rest meines Lebens in irgendeiner Beziehung zu diesen Biestern verbringen.
    Ich bereite mir das Essen zu und esse, was ich essen will. Diese verdammten Knasper-Krähen können sich von mir aus gegenseitig zu Tode hacken.

Der Eismann
    Ich bin

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