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Blinde Weide, Schlafende Frau

Titel: Blinde Weide, Schlafende Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Kleider und Schuhe entsetzlich schäbig, als wären sie aus einem anderen Stoff und aus der Materie einer anderen Dimension geschaffen. Nachdem sie die Bluse und den Rock, die sie zu dem Vorstellungsgespräch getragen hatte, ausgezogen und aufgehängt hatte, setzte sie sich in Blue Jeans und Sweatshirt auf den Boden und trank ein Bier aus dem Kühlschrank. Bei der Erinnerung an den Raum voller Kleider in Tony Takitanis Haus seufzte sie tief. Mannomann, dachte sie, dieses Zimmer war größer als meine ganze Wohnung. Es musste viel Zeit und Geld gekostet haben, all die Kleider auszusuchen und zu kaufen. Nun war die Frau tot. Und hatte ein ganzes Zimmer voller Kleider Größe 34 hinterlassen. Was für ein Gefühl es wohl war, so viele wundervolle Kleider zurückzulassen, wenn man starb?
    Die Freunde der Frau wussten über ihre ärmliche Lage Bescheid und wunderten sich ziemlich, dass sie jedes Mal, wenn sie ihr begegneten, etwas Neues trug, dazu nur exquisite und teure Marken. Fragten die Freunde sie jedoch, wie in aller Welt sie an diese Sachen gekommen sei, erwiderte sie: »Ich darf es euch nicht erzählen, das habe ich versprochen.« Nachdrücklich schüttelte sie den Kopf. »Außerdem würdet ihr mir doch nicht glauben.«

    Am Ende rief Tony Takitani einen Altkleiderhändler an, der ihm alles abnahm, was seine Frau hinterlassen hatte. Er bekam zwar keinen angemessenen Preis dafür, aber das war ihm egal. Er hätte dem Händler die Sachen auch umsonst überlassen. Solange er sie nur weit fortbrachte, irgendwohin, wo er sie nie mehr sehen musste. Das Zimmer ließ er lange Zeit leer stehen.
    Hin und wieder ging er hinein, setzte sich auf den Boden und starrte für eine Stunde oder zwei reglos die Wand an. Ein Schatten des Schattens der Toten war noch da. Doch als die Monate und Jahre vergingen, konnte er sich immer weniger an die Dinge entsinnen, die einmal dort aufbewahrt worden waren. Unversehens war die Erinnerung an ihre Farben und ihren Duft erloschen. Und sogar die lebhaften Gefühle, an die er sich einmal so sehr geklammert hatte, verschwanden, als zögen sie sich aus den Sphären seines Gedächtnisses zurück. Wie vom Wind zerstreuter Dunst veränderten seine Erinnerungen immer wieder ihre Gestalt, und mit jeder Veränderung wurden sie ein bisschen dünner. Aus den Schatten der Schatten wurden wiederum Schatten. Greifbar geblieben war nur noch das Gefühl von Verlust, das die Dinge, die einstmals existiert hatten, zurückließen. Mitunter konnte er sich nicht einmal mehr richtig an das Gesicht seiner Frau erinnern. Hin und wieder fiel ihm allerdings die Fremde ein, die beim Anblick der Kleider seiner Frau in Tränen ausgebrochen war, ihr merkmalloses Gesicht und ihre abgetragenen Lackschuhe. Auch ihr stilles Schluchzen war ihm noch frisch im Gedächtnis. Eigentlich hatte er all dies gar nicht behalten wollen, und dennoch war es unbewusst in ihm lebendig geblieben. So vieles war völlig aus seinem Gedächtnis verschwunden, sogar der Name der Frau. Warum hatte er ausgerechnet diese Dinge nicht vergessen?
    Zwei Jahre nach dem Tod von Tonys Frau starb Shozaburo Takitani an Leberkrebs. Er musste nicht lange leiden und verbrachte nur kurze Zeit im Krankenhaus. Der Tod kam so leicht zu ihm, als wäre er eingeschlafen. In dieser Hinsicht war er bis an sein Ende vom Schicksal gesegnet. Abgesehen von einer kleinen Summe Bargeld und ein paar Aktien hinterließ Shozaburo Takitani nichts, was man als Vermögen hätte bezeichnen können. Als Andenken blieben seinem Sohn die Posaune und eine große Sammlung alter Jazzplatten. Die Platten stellte Tony Takitani, so wie sie waren, noch in den Kartons der Umzugsfirma, in dem leeren Zimmer ab. Wegen des modrigen Geruchs, den sie verströmten, musste er dort regelmäßig die Fenster öffnen, um zu lüften. Ansonsten setzte er niemals einen Fuß in den Raum.
    So verging ein Jahr, und es belastete ihn immer mehr, diesen Berg von Schallplatten in seinem Haus zu haben. Allein schon der Gedanke, dass sie da waren, nahm ihm gelegentlich den Atem. Dann wachte er mitten in der Nacht auf und konnte nicht mehr einschlafen. Seine Erinnerungen waren verblasst und lasteten dennoch mit ihrem ganzen Gewicht auf ihm.
    Schließlich rief er einen Schallplattenhändler an und ließ sich einen Preis nennen. Wegen der vielen wertvollen Platten, die nicht mehr aufgelegt wurden, war er so hoch, dass man einen Kleinwagen hätte dafür kaufen können, doch das spielte für Tony Takitani keine Rolle.

    Als

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