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Blinde Wut

Blinde Wut

Titel: Blinde Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scheibler
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Er würde sie vorsichtig auf den Mundwinkel küssen, ihr Ohrläppchen zärtlich streicheln und mit der Hand sanft über ihre Wange fahren. Vielleicht würde sie seine Berührungen erwidern, ohne richtig wach zu werden, und im Taumel der Lust das Gewitter vergessen, das jeden Augenblick mit Blitz und Donner losbrechen konnte.
    Als er sich ihr nähern wollte, fielen die Schüsse. Erst einer, und kurz darauf der zweite. Schon beim ersten hatte Anne erschrocken die Augen geöffnet. Beim zweiten setzte sie sich auf und sah ihren Mann bestürzt an. Als sie etwas sagen wollte, fiel der dritte Schuß. Schritte polterten die Treppe hinunter, eine Tür wurde zugeschlagen. War das draußen im Treppenhaus, oder gehörten die Geräusche zu dem Spielfilm?
    »Stell doch mal den Kasten aus!« fuhr Anne ihren Mann an, dem mit einem Schlag klargeworden war, daß der Abend einen ganz anderen Verlauf nehmen würde, als er es sich gerade noch ausgemalt hatte.
    Max drückte auf den Knopf und zog auch gleich den Stecker aus der Dose, wie er es wenige Minuten zuvor ohnehin vorgehabt hatte. Die augenblicklich eintretende Stille empfand er als angenehm. Aber sie währte nicht lange. Draußen im Treppenhaus fing es an zu rumoren, Stimmen wurden laut und es wurden Worte gewechselt, die keinen Sinn ergaben, weil sie nur bruchstückhaft bei den Kronbecks ankamen.
    »Ich schau mich mal um«, meinte Max und bewegte sich auf die Wohnungstür zu.
    »Aber sei bitte vorsichtig«, ermahnte Anne ihn, was er für überflüssig hielt. Er war kein Held, und Anne wußte das genau.
    Max Kronbeck verließ seine Wohnung und betrat das Treppenhaus, das der Architekt des Wohnhauses in der Grillparzerstraße 14 großzügig als Lichthof gestaltet hatte. Das Parterre und die beiden Stockwerke wiesen jeweils eine Galerie auf, über die man zu den einzelnen Wohnungen gelangte. Vier davon gab es auf jeder Etage. Die Kronbecksche lag im ersten Stock.
    Die Anordnung der Gänge ermöglichte eine Verständigung der Hausbewohner von oben nach unten, von vorne nach hinten sowie von links nach rechts – und umgekehrt, und diese Möglichkeit wurde jetzt ausführlich genutzt. Das Stimmengewirr der neugierigen und aufgeregten Leute, die überall herumstanden, schlug Max entgegen, kaum daß er seine Wohnung verlassen hatte. Und daß die Verständigung bereits zu einem Ergebnis geführt hatte, zeigte ihm ein Ausruf, der deutlich zu verstehen war: »Das muß bei den Däublers gewesen sein!«
    Dieser Verdacht war Max längst gekommen, und wenn er noch Zweifel gehegt hätte, wären sie durch die Tatsache zerstreut worden, daß überall die Wohnungstüren offenstanden und nur die der Däublers geschlossen geblieben war. Beherzt ging er zur Wohnung seiner Nachbarn, drückte auf den Klingelknopf und pochte gegen die Tür. Das Stimmengewirr erstarb, alle warteten gespannt auf das, was nun kommen würde. Aber es kam nichts, da konnte Max klopfen und klingeln, wie er wollte.
    »Hat schon jemand die Polizei verständigt?« fragte er in die Runde und verkündete, nachdem er der Reaktion der Leute entnehmen mußte, daß dies noch nicht geschehen war: »Dann mach ich das jetzt mal.«
    Max ging in seine Wohnung zurück. Annes ängstliche, fragende Blicke beantwortete er mit einem hilflosen Schulterzucken, griff zum Telefon und wählte zum ersten Mal in seinem Leben die Notrufnummer der Polizei. Nachdem er seine knappe Meldung durchgegeben und den Hörer mit dem Gefühl wieder aufgelegt hatte, seiner Bürgerpflicht Genüge getan zu haben, ließ Anne sich mit zaghafter Stimme vernehmen: »Sollen wir wirklich warten, bis die Polizei eintrifft?« Und sie erinnerte ihren Mann daran, daß man mit den Däublers die Wohnungsschlüssel getauscht hatte, für den Fall der Fälle. »Und den haben wir doch jetzt, oder?«
    Max machte sich mit dem Schlüssel in der Hand wieder auf zur Wohnung der Däublers, und Anne ließ es sich nicht nehmen, ihn diesmal zu begleiten. Bevor die Hausbewohner noch begriffen hatten, was da im Gange war, hatte Max die Tür aufgeschlossen und war mit Anne in die Wohnung eingedrungen. Das erste, was ihnen auffiel, war, daß überall das Licht brannte, aber nichts darauf hinwies, daß sich jemand in der Wohnung aufhielt. Nachdem ihre Rufe ungehört verhallt waren, öffneten sie zaghaft und nicht ohne vorher angeklopft zu haben, eine Tür nach der anderen. Als sie zum Wohnzimmer gekommen waren und die Tür aufgestoßen hatten, blieben sie wie angewurzelt stehen. Der Anblick, der

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