Blinde Wut
grimmigem Selbstmitleid fragte er sich, wann sich wohl die Folgen zeigen würden, und welche Bedeutung das für ihn haben könnte.
Ein Zinksarg wurde jetzt in das Zimmer getragen, im Nu war die Leiche eingesargt und fortgebracht worden. Spurenbeseitigung nannte man das. Bald würde nichts mehr an das Verbrechen erinnern, das hier geschehen war.
Lutz sah sich genauer in dem Wohnzimmer um. Auf dem Boden lagen in unordentlichem Durcheinander Bücher und Zeitschriften herum, als habe jemand sie hingeschmissen. Von der Wand hatte man Poster abgerissen, die Wüsten- und Oasenlandschaften zeigten. Auf einer Konsole waren die Überreste eines zertrümmerten, nicht mehr identifizierbaren technischen Modells zu sehen. Unweit der Stelle, an der das Kind gefunden worden war, lag ein kleiner, brauner Teddybär.
Lutz wollte schon reflexartig nach dem Teddybär greifen, als er mitten in der Bewegung innehielt. Er richtete sich wieder auf und ging zu der Stelle, an der den Kreidestrichen zufolge Herr Däubler gestanden haben mußte. Dann blickte er hinüber zu den eingezeichneten Fundorten von Frau Däubler und dem Kind, hing eine Weile seinen Gedanken nach und schüttelte immer wieder den Kopf. »Es muß noch jemand in der Wohnung gewesen sein«, sagte er schließlich mehr zu sich selbst.
Wagner, der ihn schon eine Zeitlang beobachtet hatte, sah ihn erstaunt an. »Wie kommen Sie darauf?«
Lutz schreckte aus seinen Gedanken hoch. »Dann wäre ja der Täter der Däubler.«
»So was soll es geben«, ließ Wagner sich ungerührt vernehmen, »wäre ja nicht das erste Mal.«
Lutz sah ihn ungehalten an. Hatte der Junge denn gar kein Herz? »Daß einer sich selbst erschießt, gut… Aber daß einer Frau und Kind mit in den Tod nimmt…« Lutz schüttelte den Kopf. Dafür hatte er absolut kein Verständnis.
»Die drehen einfach durch«, lautete Wagners coole Erklärung. »Steht doch täglich in der Zeitung.«
»Der macht es sich zu leicht!« dachte Lutz und überlegte fieberhaft, was er ihm entgegnen könnte. Aber da erschien Rösch und forderte sie auf, ihm in die Küche zu folgen.
Auf dem Küchentisch stand ein Tablett mit drei benutzten Biergläsern und ebenso vielen Bierflaschen. Und ein Teller mit Zigarettenkippen.
»Drei benutzte Biergläser und Zigarettenkippen«, erklärte Rösch und zog sogleich die Schlußfolgerung: »Sieht so aus, als wäre noch jemand in der Wohnung gewesen.«
Lutz fühlte sich bestätigt und warf Wagner einen triumphierenden Blick zu, den der mit einer gleichgültigen Geste konterte.
»Dann wollen wir uns jetzt mal ein genaues Bild von den Däublers machen«, schlug Lutz vor, und fügte hinzu: »Und wir müssen die Angehörigen verständigen.«
»Falls es welche gibt«, schränkte Wagner träge ein.
Lutz war kurz davor, die Geduld zu verlieren, aber er nahm sich zusammen. »Schauen Sie doch mal nach, ob Sie nicht irgendwo ein Adreßbuch finden«, forderte er Wagner auf und gab ihm gleich noch einen Tip: »Da, beim Telefon vielleicht.«
Wagner schlurfte in den Flur zum Telefon, während Lutz zum Wohnzimmer zurückging und seine Inspektion fortsetzte. Ein Schrank fiel ihm jetzt auf, und er ging hin und öffnete ihn. Der Schrank enthielt eine Unmenge fein säuberlich geordneter Schmalfilme. Lutz nahm einen heraus, öffnete die Schachtel und betrachtete im Gegenlicht der Deckenlampe den Anfang des Streifens. Er war noch dabei, als Wagner, ein Adreßbuch mit der Hand hochhaltend, in das Wohnzimmer trat.
»Soll ich das abschreiben?« fragte er mit einem provozierenden Unterton.
»Unsinn. Nehmen Sie es mit«, gab Lutz zurück, ohne sich bei der Betrachtung des Filmstreifens stören zu lassen.
»Wollen Sie jetzt nach Hollywood, Herr Lutz?« Wagners Lippen kräuselten sich zu dem für ihn typischen, säuerlichen Lächeln, das er selbst allerdings für den Ausdruck feinster Ironie hielt.
Lutz rollte das Filmende wieder auf, gab die Spule in die Schachtel und legte sie in den Schrank zurück. Für Wagner hatte er nur einen ärgerlichen Blick übrig. »Däubler scheint ein Schmalfilmamateur gewesen zu sein«, meinte er und deutete zu den unzähligen Filmen im Schrank. »Es wäre vielleicht nicht schlecht, wenn wir das sichten.«
»Ach du liebe Zeit…« Wagner verdrehte die Augen, was Lutz nicht verborgen blieb. Ärger stieg in ihm hoch.
Er wollte seinen Assistenten zurechtweisen, sich diesen Ton verbitten und überhaupt diese ganze widerborstige Art. Aber er nahm sich zusammen. Es war spät geworden,
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