Blinde Wut
hier ein für allemal klarstellen, daß er in siebenundneunzig von hundert Fällen vor Lutz am Tatort ist? Ach was, das war ihm zu dumm, Lutz mußte es ja selbst wissen! »Weil wir erst noch unsere Sachen zusammenpacken müssen«, gab er statt dessen zurück, »während Sie nur Ihren Wagner aufzugabeln haben.«
Wagner, der sich angesprochen fühlte, mischte sich ein: »Umgekehrt wird ein Schuh daraus, Herr Rösch. Ich habe den Herrn Lutz aufgabeln müssen. Und der war schon zu Bett gegangen, stellen Sie sich das mal vor, um kurz nach elf…«
»Kommen Sie, Wagner, das interessiert hier doch keinen«, unterbrach Lutz ihn und ging zur Wohnung der Kronbecks voraus.
Max, der immer noch an der Tür wartete, ließ die beiden Kriminalbeamten eintreten, bevor er ihnen folgte und die Tür hinter sich schloß. Er komplimentierte sie mit Floskeln wie: Wenn ich Ihnen vorausgehen darf und dergleichen zum Wohnzimmer. Dort hatte Anne es sich in der Zwischenzeit auf der Couch wieder bequem gemacht und gerade mit mentalen Entspannungsübungen begonnen, um einem Migräneanfall entgegenzuwirken, der sich mit stechenden Kopfschmerzen ankündigte. War es das furchtbare Erlebnis in der Nachbarwohnung oder die elektrisch aufgeladene Gewitterluft oder beides zusammen, was Anne so sehr zu schaffen machte, daß ihr der Kopf fast platzte? Oder war es die Vorstellung, der Mörder, der nebenan das Blutbad angerichtet hatte, könnte auch in ihre Wohnung eindringen und seine Waffe auf sie richten? Anne spürte, daß die Grübeleien ihren Zustand nur verschlimmern würden, und deshalb war sie froh über die Ablenkung, die der Besuch versprach, den ihr Mann jetzt ins Wohnzimmer führte.
Anne setzte sich auf und begrüßte die beiden Kriminalbeamten, die Max ihr sogleich vorstellte. Max beobachtete mit lauernden Blicken aus den Augenwinkeln heraus, wie sie auf seine Frau reagierten. Der jüngere tat das mit einem solchen Desinteresse, daß es auf Max wie eine Beleidigung wirken mußte: so hätte man auch eine Vogelscheuche betrachten können. Im Blick des älteren aber tauchte ganz kurz ein Flackern auf, das Max nur zu gut kannte. Der Mann hatte Annes Schönheit erkannt und würde vielleicht mehr von ihr wollen. Das Interesse des Kommissars schmeichelte ihm und verursachte ihm zugleich ungute Gefühle, die es schnellstens zu unterdrücken galt.
Lutz und Wagner waren inzwischen der Aufforderung gefolgt, Platz zu nehmen. »Erzählen Sie mir, was Sie veranlaßt hat, die Polizei zu rufen«, wandte Lutz sich an Max Kronbeck und wunderte sich insgeheim, warum der Mann ihn so merkwürdig anstarrte. Von den Gedanken, die ihn quälten, konnte Lutz ja nichts wissen.
»Na, die Schüsse«, erwiderte Kronbeck, nachdem er sich geräuspert hatte, »und daß bei den Däublers niemand geöffnet hat.«
»Sie wußten also gleich, daß bei den Däublers geschossen worden ist?«
»Nein. Wir haben uns beraten, und es gab einfach keine andere Möglichkeit.«
»Wir?« hakte Lutz nach.
»Die Hausbewohner und ich«, präzisierte Kronbeck.
»Wie viele Schüsse waren es?«
»Drei. Zwei kurz aufeinander und der dritte nach einer kleinen Pause.«
»Und wann war das genau?«
Max zögerte, und so gab Anne die Antwort: »Kurz nach elf. Die Tagesthemen waren gerade vorbei, und wir wollten uns noch den Anfang eines Spielfilms ansehen.«
Max sah seine Frau mit gerunzelten Brauen an. Korrekt war das nicht, was sie da trieb. Schließlich hatte sie vor dem Fernseher geschlafen. Sollte er eingreifen? Aber wozu? Seine Antwort würde genau der entsprechen, die Anne schon gegeben hatte.
Lutz nickte und formulierte bedächtig seine nächste Frage: »Und vor den Schüssen, haben Sie da irgend etwas gehört?«
Wieder wollte Anne antworten, aber diesmal kam Max ihr zuvor: »Na ja, die Däublers haben sich unterhalten.«
»Das kann man hier hören?« wunderte Lutz sich. »Sind die Wände so dünn?«
»Es war wohl eine etwas lautere Unterhaltung«, gab Max zu.
»Ein Streit?« Lutz wollte es genau wissen.
»Wir haben nicht gelauscht«, meinte Max, und Anne fügte hinzu: »Was unsere Nachbarn tun, geht uns doch nichts an.«
»Gab es solche lauteren Unterhaltungen öfter?« hakte Lutz nach.
»Nein«, gab Max kurz und entschieden zurück, denn er wollte sich von einem, der möglicherweise schon im Sinn hatte, seine Frau zu umgarnen, nicht zum Denunzianten machen lassen. Um so mehr wurmte es ihn, als Anne sich jetzt zu einer völlig überflüssigen Erklärung hinreißen ließ:
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