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Blinder Eifer

Blinder Eifer

Titel: Blinder Eifer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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tiefer. Was Elsie kaltließ, sie fuhr munter fort, schlechte Neuigkeiten aufzutischen. »Er gibt ihr haufenweise Geld, damit sie das Pub kaufen kann, und dann noch mehr, damit sie es betreiben kann.« Demonstrativ schaute sie auf ihre runde Uhr. Jury glaubte, die schwarzen Ohren einer Mickymaus zu erspähen. »Ich weiß gar nicht, warum sie noch nicht zurück ist ...«
    Plötzlich war Jury müde. Er stand auf, doch Elsie wollte ihn nicht gehen lassen und sagte ganz geknickt: »Aber ich wette, sie möchte Sie sehen.«
    Er lächelte. »Sag ihr, daß ich kurz hier war. Sag ihr, ich rufe sie an.«
    Vor Jahren war er genauso enttäuscht den gleichen Weg gegangen. Er hatte Jenny Kenningtons Haus verlassen, nachdem sie, auf Umzugskisten sitzend, zusammen eine Zigarette geraucht hatten. Sie hatte eine große Reise angetreten. Und er hatte hier am Ufer des Avon zwischen dem Theater und der Kirche, wo Shakespeare begraben war, einen Spaziergang gemacht. Damals war es dunkel gewesen. Jetzt war später Nachmittag, das Licht verlieh allem einen matten Glanz. Die Farben waren so gedämpft und blaß, daß sie beinahe transparent schienen, der Himmel schimmerte wie ein Opal, der Avon schwebte dahin wie Rauch. Dann brach die Sonne durch die Wolken, und wie auf ein Signal hin paddelten die Enten zum Ufer, wo Jury stand, und warteten dort auf Futter. Weiter draußen im Fluß glitt ein Schwan über das sonnenbeschienene Wasser wie durch Unmengen Pailletten.
    Während er den Schwan beobachtete, dachte er darüber nach, wie er beinahe in Versuchung geraten wäre, Elsie Informationen über diesen Herrn Jemand zu entlocken. (»Sind die beiden sehr gut befreundet?«) Aus Angst, etwas zu erfahren, was er gar nicht wissen wollte, hatte er widerstanden. (»O ja, wirklich, sehr eng.«) Dann hätte er vielleicht Elsies Phantasie ertragen und zusehen müssen, wie dieser Bursche reich, schön, smart und ein Connaisseur von Kockowin und Schattenschildern aus dem Verborgenen trat. Er seufzte und schalt sich für seine Blödheit.
    Er kannte Jenny Kennington als sehr ernsten Menschen, sie hatte nichts Falsches, Glattes oder Berechnendes. Wenn der Mann wichtig für sie war, hätte sie ihn erwähnt. Gewiß. Und genauso gewiß hätte Jury ihr sagen müssen, daß er vorbeikommen würde.
    Ein Sonnenstrahl traf den Fluß wie ein Streich. Dieses archaische Wort schien angemessen zu beschreiben, was er sah: den gewaltigen Hieb eines Schwerts auf eine Rüstung. Das Licht war so stark, daß es den Schwan in glühendes Weiß tauchte. Er beobachtete ihn auf dem feurigen Wasser und dachte an ein altes Gedicht über ein junges Mädchen, das über einen Jahrmarkt ging. Der Erzähler beobachtet, wie sie umherläuft und sich auf den Heimweg begibt:
    ... ein Stern erwacht,
    Und der Schwan gleitet über den See durch den Abend
    Ohne zu wissen, warum, fand Jury es unsagbar traurig.
    Er nahm ein Foto aus der Brieftasche. Es zeigte ein Mädchen von elf oder zwölf. Es hieß Jip und wohnte bei einer Tante in Baltimore. Wie hieß sie wirklich? Nicht nur mit Familiennamen, sondern auch mit Vornamen. Er wußte nur: »Jip«.
    Wie eine einzelne Zeile in einem Gedicht war sie ein Mädchen ohne Kontext. Auf dem Foto stand sie einfach da, lächelte nicht, sondern blinzelte in das Licht, das sie und alles um sie herum in tiefe Schatten tauchte. Ein Schattenkind.
4
    Mehr noch als Sergeant Wiggins lechzte er nach Tee.
    Jury setzte sich in dem kleinen Restaurant direkt gegenüber der Kathedrale von Exeter an einen Tisch am Fenster, wo er seinen Tee trinken, ein Chelsea Bun verdrücken und den Platz vor der Kathedrale überblicken konnte. Kinder mit blauen Uniformen, vermutlich aus der zur Kirche gehörenden Schule, liefen auf dem Bürgersteig vor der Kathedrale hintereinan-derher. Alle trugen marineblaue Blazer, weiße Hemden, Krawatten. Ein paar Dutzend Kinder unterschiedlicher Größe und unterschiedlichen Alters.
    Sooft Jury diesen Anblick auch sah, er war jedesmal gerührt. Sie rannten, hopsten, drehten sich, das lange Haar einiger Mädchen flatterte im Wind, und sie lachten, als sie den Platz überquerten. Hören konnte er nichts. In seinem Job verbot sich a llz uviel Gefühligkeit, aber er konnte nicht anders, er sah sich selbst in dieser Horde von Kindern mit ihren ganz verschiedenen Persönlichkeiten, und als er beobachtete, wie sie in Zweierreihen durch die Anlage um die Kirche marschierten, konnte er eine aufkommende Wehmut nicht unterdrücken.
    Er hatte keine solchen

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