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Blinder Eifer

Blinder Eifer

Titel: Blinder Eifer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Über das andere ließ sie sich nicht aus, hoffte aber, daß es Sunnys extrem lange Beine erklärte. Sunny war ein Kojote. Sie hatte ihn als Welpen gefunden, sie hatte kaum ihren Augen getraut, als er aus einem Bau in den Hügeln herausgetapst kam. Was war mit seiner Familie geschehen? Kojoten ließen ihre Jungen nie im Stich. Im Gegensatz zu Menschen, die machten es, ohne mit der Wimper zu zucken. Kojoten kann man nie vollständig zähmen, ihre ungezähmte Natur tief drinnen kann jederzeit hervorbrechen. Das war allgemein bekannt. Rosella sprach von »attani«: Gefahr.
    Sie erinnerte sich, daß sie einmal an einer Schafranch vorbeigekommen war, wo bestimmt hundert Kojotenfelle um einen Zaun gewunden waren. Ein alter Navajo hatte ihr erzählt, daß man einen mächtigen Geist befreit, wenn man einen Kojoten häutet. Das glaubte sie. Sunny hatte etwas Magisches. Zum Beispiel wie er verschwinden und plötzlich wiederauftauchen konnte. Er war da und dann plötzlich weg. Er kam immer wieder zu ihr zurück, aber um nichts in der Welt fand sie heraus, wie er das Kunststück zuwege brachte. Rosella behauptete, dieser Kojote sei in seinem früheren Leben ein Zauberer gewesen. Geisterhund hatte Angela ihn genannt. Rosella nannte ihn Schwindler. Was wurde aus Sunny, wenn sie weit weg von hier bei Pflegeeltern leben mußte?
    Diese Sozialarbeiterin. Wie konnte man jemanden ernst nehmen, der »Bibbi« hieß? Was waren das für Erwachsene, die freiwillig mit dem Handicap eines Kinderspitznamens durchs Leben gingen? Sogar mit einem Spitznamen aus Babyzeiten. Aber die Sozialarbeiterin (die in Wirklichkeit Barbara hieß) fand ihn offenbar niedlich. Und jetzt hing Mary Dark Hopes Zukunft allem Anschein nach von jemandem ab, der sich Bibbi nannte und Fragen stellte wie: »Was willst du einmal werden, wenn du groß bist?«
    Lebendig sein, das wollte sie. Was sie auch der Sozialarbeiterin erzählt hatte. Mary war der felsenfesten Überzeugung, daß sie sowieso erwachsen gebo-ren worden war. Wer mußte denn das Elektrizitätswerk anrufen, wenn der Strom ausfiel? Sie! Rosella lief durch die Gegend, rang die Hände und betete; Angie holte Kerzen, setzte sich in die Dunkelheit und meditierte.
    Sie würde es nicht tun. Basta. Sie würde nicht bei wildfremden Menschen wohnen.
    Mary Dark Hope legte den Kopf in die Hände.
    Seit Angelas Tod kam sie öfter hierher und blieb länger. Als man ihr die Nachricht überbracht hatte, fühlte sie sich wie betäubt. Und war es immer noch.
    Manchmal sah sie Angela. Sie sah Angela auf sich zukommen. Manchmal rief man sie aus dem Schlaf, und Angela erschien wie in weiter Ferne. Und kam dann auf sie zu, kam näher und näher, aber nie in Reichweite. Sie trüg immer dasselbe lose bläulichgrünliche Kleid, das sie gebatikt hatte und das so verwaschen aussah. Und das Fußkettchen mit den Glöckchen, die leise bimmelten. Mary sah Angela auch hier draußen, wie sie aus der Entfernung auf sie zulief und durch die flirrende Hitze schimmerte.
    Das erzählte Mary aber niemandem. Erstens, weil es außer Rosella sowieso niemand glauben würde, und die auch nur aus den falschen Gründen. Rosella weinte immer - sie war traurig, daß Angelas Körper noch auf dem Tisch eines Leichenschauhauses in einem anderen Land lag, wo sie doch am Tag nachdem sie gestorben war, hätte begraben werden müssen. Und ihr »Windgeist«, ihr pinane, müßte eigentlich nach ihrem Tod vier Tage lang ihr Zuhause bewohnen. Rosella war unglücklich, und Mary (die mitnichten an diese Dinge glaubte) hatte versucht, sie mit dem Gedanken aufzuheitern, daß der pinane ihrer Schwester viel rascher von England in die USA fliegen konnte als eine Boeing 747. Aber diese Bemerkung tröstete Rosella nicht. Zweitens erzählte Mary niemandem etwas, weil sie es selbst nicht glaubte - noch ein Grund, Rosella nichts zu sagen. Es war die Frucht ihrer eigenen Einbildungskraft, das wußte sie. Ein Wunschbild. Eine Täuschung. Aber Rosella würde bestimmt mit ihren Kräutern und Wurzeln und heiligem Räucherwerk ankommen, rumkokeln und Tränklein brauen und vor ihrer kleinen Privatkapelle in die Knie sinken.
    Nein, Mary wollte Rosella keine Visionen liefern, auf denen sie dann endlos herumritt.
    Zu beiden Seiten des Flußtals standen niedrige Kiefernwäldchen, die Sunny vorsichtig durchstöberte. Wonach, wußte sie nicht; sie hatte nicht gesehen, daß sich dort etwas bewegte. Man mußte sich einmal vorstellen, wie es wäre, wenn man soviel sehen und hören könnte wie

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