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Blinder Eifer

Blinder Eifer

Titel: Blinder Eifer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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verschlagen und er die Hand auf seiner Brust gespürt hatte, und als er den Blick wieder auf das Bild Chattertons richtete, überlegte er, ob er mit Frances Hamilton, dieser Frau, die er gar nicht kannte, etwas gemeinsam hatte.
    Traurigkeit überwältigte ihn. Er hielt es jedenfalls für Traurigkeit und nicht Verzweiflung, denn Verzweiflung hatte doch eigentlich keine identifizierbare Ursache. Die Ursache für seine Traurigkeit war dagegen leicht dingfest zu machen, sie reichte lange zu-rück zu der ganzen schlimmen Geschichte kurz vor dem Tod seiner Mutter in dem Haus in Belgravia. Wie lange hatte sie gedauert? Monate? Ein Jahr? Damals war es ihm endlos erschienen. Das Haus hatte er mit dreißig verkauft, weil er sich nicht mehr wohl darin fühlte, geschweige denn zu Hause.
    Vor seinem inneren Auge sah er sich in dem trübe beleuchteten hinteren Salon sitzen, der mit erlesenen Möbelstücken ausgestattet war, auf die er sich aber nicht mehr deutlich besinnen konnte, und durch die Verandatür in den Garten starren. Warum gab es in den Geschichten über Liebe und Verrat immer Gärten? Wegen des Garten Eden, vermutete er und dachte an Robert Frost: »So fällt denn Blatt um Blatt, auch Eden ja versank.«
    Und das bedeutete auch die Existenz einer Schlange. Nicholas Grey.
    Der nette, hübsche Nick Grey. Der Freund seines Vaters, Waidgenosse in der Wildnis des schottischen Hochlands, Anglerfreund in den eisigen Forellenbächen von Wales. Die Nick Greys dieser Welt, denen kamen Mr. Beatons berufliche Qualitäten zugute. Oder auch nicht, überlegte er. Vielleicht nicht. Mr. Beatons »Gentlemen« waren nicht bloße Figuren wie Schneiderpuppen, an die er seine Anzüge hing. Seine Kunden waren, hm, eben Gentlemen, vornehme Menschen. Und Nick Grey gehörte nicht dazu.
    In dem Salon, in dem sich Melrose aus der Tür starren sah, sah er auch viele Monate, eigentlich Jahre lang, die Gestalt Nick Greys - mit einem Whisky in der Hand in einen Sessel hingelümmelt, lächelnd an dem elfenbeinfarbenen Marmorkamin stehen, mit verwirrtem Blick auf der Bibliotheksleiter sitzen, ein aufgeschlagenes Buch aus dem Bücherschrank in der Hand. Gibbon oder Vergil gingen über seinen Horizont. Das meiste ging über seinen Horizont.
    Melrose' Mutter hatte sich wie ein Geist durch den Garten bewegt.
    Melrose dachte an die Frauen, die er kannte. Er glaubte nicht, daß er Frauen gegenüber zu kritisch eingestellt war, eigentlich traf doch eher das Gegenteil zu. Sein Herz war leicht zu erobern. Andererseits glaubte er an Liebe auf den ersten Blick (wenn er auch keineswegs wußte, wie tief eine solche Liebe ging). Doch es war eindeutig eine unbewußte Entscheidung, keine bewußte. Dann aber kam immer etwas dazwischen, versperrte ihm den Weg, wie eine Gestalt in einem Durchgang oder auf dem Bürgersteig, um die man nicht herumgehen kann.
    Allein in den letzten Jahren hatte es etliche Frauen gegeben: Polly Praed, die ihn beim erstenmal in Littlebourne so fasziniert hatte. Die Wahl hätte auf sie fallen können. Oder Ellen, deren Schroffheit sie ja gerade so liebenswert machte. Und Vivian natürlich. Höchst unwahrscheinlich, daß sie für ihn etwas Besonderes empfand. Sie kannten sich einfach schon zu lange. Trotzdem, jede dieser Frauen hätte es gewesen sein können, wenn er sich ein wenig mehr bemüht hätte (obwohl ihm immer noch schleierhaft war, worum ... ). Aber immer verstellte ihm die geisterhafte Erscheinung im Garten den Blick.
    »Ver - zeihung.«
    Mit einem Ruck erwachte Melrose aus seiner Träumerei und schaute auf, um zu sehen, wer sie war und warum sie sich entschuldigte. Er hatte völlig vergessen, daß er sich in der Tate, in der Öffentlichkeit, befand.
    »Verzeihung«, sagte sie noch einmal. Ihre Miene drückte heftige Besorgnis aus. »Ich hasse es, wenn mich jemand auf diese Weise stört. Aber Sie sehen -das heißt sahen - hm, aus, als ob es Ihnen nicht gutginge. Ich dachte, Sie wären vielleicht krank.«
    Ihre Unsicherheit und Verwirrung, ob sie ihn überhaupt hätte ansprechen sollen, waren überdeutlich. In der Hoffnung, beides zu zerstreuen, lächelte er sie an. Gleichzeitig ging ihm durch den Kopf, daß er auf der Bank saß, auf der Frances Hamilton gesessen hatte. Aber während Bea Slocum Mrs. Hamilton nicht beigestanden hatte, kam ihm eine Beatrice zu Hilfe.
    Dunkelrotes Haar, großer Mund, blasses Gesicht, sympathisch. Nicht schön, aber einprägsam. Zu jeder anderen Zeit hätte er etwas Witziges gesagt, sie zum Kaffee oder

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