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Blinder Eifer

Blinder Eifer

Titel: Blinder Eifer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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bogen sich, als sei das Licht zu schwer. Es schien in den Raum gekrochen zu sein, nicht von oben hereingefallen wie Sonnenstrahlen oder die blaue Morgendämmerung oder diffuses Regenbogenlicht am späten Nachmittag.
    »Haben Sie ein Bild von ihm?« fragte er.
    Lady Cray schaute ihn verwirrt an. »Von wem?«
    »Entschuldigung. Von Philip Calvert. Wenn Mrs. Hamilton ihn so sehr mochte, gibt es doch bestimmt Fotos von ihm. Familienfotos.«
    »Er ist ermordet worden«, sagte sie, als sei das eine Antwort auf seine merkwürdige Frage nach der Fotografie.
    »Ich habe nur über etwas nachgedacht, als ich in der Tate saß. Und ich frage mich . « Melrose hielt inne, weil er gar nicht genau wußte, über was er vorhin oder gerade jetzt nachgedacht hatte.
    Lady Cray lächelte und zeigte auf die Wand hinter ihm, links von seinem Sessel. »Sie sehen aber auch nichts, was?«
    Er drehte sich zu dem Teil der Wand zwischen den beiden Doppeltüren, die zu der großen Eingangshalle führten. Dort hingen über der Zierleiste verschieden große, unterschiedlich gerahmte Bilder. Das größte in der obersten Reihe war das von einer kleinen Lampe erhellte Porträt eines jungen Mannes. Melrose erhob sich und fragte, als sei der Gang durch den Raum ein unhöflicher Abschied: »Darf ich?«
    Lady Cray nickte und erhob sich ebenfalls.
    Das Bild zeigte Philip Calvert, der in einem kitschigen viktorianischen Sessel neben einem kleinen Tisch saß, einem dieser nutzlosen Möbelstücke, die man oft auf Bildern sieht. Stühle und kleine Tische, die so zerbrechlich sind, daß sie nur dem Zweck dienen können, einen Ellenbogen darauf zu stützen, eine Hand darauf zu legen oder Mütze und Schal flott darauf zu drapieren. So war es denn auch: Philip Calverts Ellenbogen ruhte auf dem Tisch, der Kopf war auf die Hand gestützt, die andere Hand umfaßte das Ende der Sessellehne; eine Kappe aus weichem Wollstoff lag achtlos auf dem Fuß der Lampe, als sei sie zusammen mit der Rennfahrerbrille dorthin geworfen worden (was bei der Lampe natürlich unmöglich war). Philip hatte locker einen dunklen Kaschmirschal umgeschlungen, dessen eines Ende über den Sesselarm fiel, als wolle er ihn gleich ablegen. Die beabsichtigte Wirkung war »Unbeschwertheit«. 
    Ein junger Mann macht zwischen zwei Fahrten in seinem Sportwagen Pause, und den wilden Pinselstrichen nach zu urteilen, kann er sich kaum im Sessel halten. Aber die Komposition paßte überhaupt nicht zu Philip. Ja, er lächelte, aber flüchtig, das sah man. Melrose mußte an den blassen, leeren Himmel hinter sich denken. Ein Vogelschwarm war so rasch fortgeflogen, als verfolge ihn das eindringende Licht. Hier erschöpften sich die Farben in traurigen Variationen von Brauntönen. Das dunkle, fast schwarze Braun oben auf der Leinwand löste sich in finstere Schatten auf, dann in das Kaffeebraun des künstlichen Arrangements. Die wenigen Farben im Stoff der Kappe - Burgunderrot, hier und dort Jägergrün -waren so dunkel und matt, daß sie mit dem Hintergrund verschmolzen. Und gefangen in dieser düsteren Umgebung wurden Phil Calverts blasses Gesicht und seine hellbraunen Augen beinahe transparent.
    Melrose fand das kleine Porträt wundervoll, aber widersprüchlich, der Gemalte stand in einem solchen Gegensatz zu den Dingen um ihn herum. Die Atmosphäre war zu behaglich und vornehm, zu lässig elegant. Zu reich, viel zu reich. Nach dem, was Jury ihm über Philip Calvert erzählt hatte, hatte Melrose angenommen, daß der junge Mann all dem ja gerade entfleuchen wollte. Er sprach mit Lady Cray darüber.
    Sie nickte heftig. »Ja, richtig. Er stritt sich immer mit Fanny, auf nette Weise, denn sie wollte natürlich das viele Geld mit Philip teilen. Philip fühlte sich mit Geld nicht wohl. So geht's ja manchen Leuten. Um diese Einstellung zu gewinnen, habe ich allerdings nie genug gehabt.«
    Melrose sagte: »Glücklich sieht er nicht aus.«
    »Nein, das stimmt. Ich weiß aber nicht, warum. Denn er wirkte - vielleicht nicht glücklich, aber doch überzeugt, daß er das Richtige tat. Er war zumindest zufrieden.«
    Schweigend betrachteten sie das Bild. Dann sagte sie: »Aber Mr. Plant, Sie wollen doch sicher nicht andeuten, daß dieses Verbrechen etwas mit Fannys Tod zu tun hat?«
    »Nein, Philip Calverts Mörder ist überführt worden. So meine ich es nicht.«
    »Wie denn?«
    Melrose lächelte. »Ich kann Ihnen eine Theorie unterbreiten, der eine Freundin von mir in Long Piddle-ton anhängt. Das heißt, wenn Sie willens

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