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Blinder Eifer

Blinder Eifer

Titel: Blinder Eifer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Eisenleuchter hoch an der Backsteinmauer des Restaurants und verwandelte den diesigen Regen in Gazeschleier. Ein leichter Regen, aber Melrose wußte, er sickerte durch bis auf die Knochen. Als sie am Bordstein auf ein Taxi warteten, zog er seinen Mantel aus und hielt ihn wie ein Zelt über Beas Kopf.
    Überrascht schaute sie zu ihm auf. »Ah, ein echter Gentleman!« Sie lachte. »Gabe, der tut immer so, als ob er den Schirm gepachtet hätte.« Sie riß den Arm hoch und winkte. »Da ist ein Taxi.«
    Der Fahrer sah sie nicht und wollte umdrehen, um denselben Weg zurückzufahren, den er gekommen war. Plötzlich zuckte Melrose zusammen. Ein gellendes Pfeifen war ertönt. Bea hatte die kleinen Finger im Mundwinkel, ein zweites Pfeifen zerriß den Abend. Das Taxi kam im Rückwärtsgang auf sie zugefahren.
    Bea tat seine hochgezogenen Brauen mit Schulterzucken ab. »Hab ich schon als Kind gelernt.«
    Als das Taxi mit im Regen glänzenden Scheinwerfern langsam auf sie zufuhr, sagte Melrose: »Eine Tränengas-Spraydose brauchen Sie ja dann nie.«
    Der Wagen hielt am Bordstein. Als Melrose Anstalten machte, ihr auf den Rücksitz zu helfen, blieb sie stehen und fragte: »Was ist mit Ihnen? Kommen Sie nicht mit?«
    Er verneinte. »Ich laufe.«
    »Laufen? Bei dem Mistwetter?«
    »Ich komme nicht so oft nach London. Und ich laufe gern.« Unsicher sagte sie: »Machen Sie, was Sie wollen.« Dann streckte sie ihm die Hand entgegen, sie griff überraschend fest und kräftig zu. »Also, vielen Dank. Es war wunderbar. Sie auch ... für einen feinen Pinkel. Ich wollte schon seit Urzeiten mal dahin, und aus dem Museum ist noch niemand dagewesen.« Besonders darüber war sie sichtlich erfreut.
    »Dann bin ich ja froh, daß wir drin waren.« Er kritzelte seine Telefonnummer in sein kleines Notizbuch und riß die Seite heraus. »Hier. Wenn Ihnen noch was einfällt, oder Gabe, rufen Sie mich doch bitte an, ja?«
    Bea knüllte das Papier in ihre Tasche. »Alles klar.«
    »Wenn wir die ganze Sache geklärt haben, falls überhaupt, dann gehen wir noch mal dort essen.«
    Sie lächelte breit. »Gute Idee. Beim nächstenmal essen Sie aber was Vernünftiges, verstanden?«
    »Jawohl. Gute Nacht, Bea.«
    Im Taxi rollte sie das Fenster herunter. »Beim nächstenmal dürfen Sie meine Bilder sehen, wenn Sie wollen.«
    Er beugte sich hinunter. »Gern.« Wenn ihre Malerei wie sie war, mußte sie interessant sein. Bea mit ihrem purpurfarbenen Haar, ihren komischen sprachlichen Entgleisungen (East End gegen West End), ihrer scharfen Intelligenz, ihrem Turner und Rothko. Ihren hundert Blautönen.
    »Danke«, sagte sie.
    Er trat zurück, gab dem Taxi einen Klaps, als sei es ein Spielzeugauto, das er mit einem Schlüssel oder einer Fernbedienung steuern, es fortschicken oder zurückkommen lassen konnte.
    Konnte er aber nicht.
    Ihr kleiner werdendes, in dem dunklen Wageninneren weißes Gesicht war gegen die Rückscheibe gepreßt, und sie winkte. Bewegte die Hand vorwärts und rückwärts wie ein Metronom.
    Du hättest es auch sein können.
    Er lief wirklich. Er würde spät nach Hause kommen, zu spät für Marthas Boudin blanc, aber in der
    letzten Stunde hatte er den Appetit verloren. Ja, sogar die Lust, nach Northants zurückzukehren. Also lief er durch die nassen Straßen von Bethnal Green, während der Nebel noch durchdringender wurde. Der Regen fiel geschäftsmäßig, es war ein unfairer, unenglischer Regen; die Tropfen gingen wie Geschosse auf ihn nieder und durchnäßten alles.
    Beim Laufen überlegte er, was mit ihm los war, warum ihn ein Tag in London derart verwirrte und er sich leer und allein fühlte. Und anders. Er fühlte sich anders, das war alles. Und das, alter Junge (sagte er sich), ist gewiß ein Grund, warum du dich an deinen Portwein und deine Bücher halten solltest.
    Er kam an dunklen Toreingängen, Gassen und Läden vorbei - einem Fischladen, einem Gemüseladen, einer Hovis-Bäckerei. Es war erst neun, aber diese trostlose Stille hätte er in Bethnal Green erst in den Stunden nach Mitternacht erwartet. Die ruhige Straße und verrammelten Schaufenster, der geschlossene Rolladen des Gemüseladens, das Gitter vor den Schaufenstern des Juweliers, all das schrie regelrecht: Keiner da! Leer! In der Straße waren keine vertrauten Geräusche zu hören, auch keine abrupten Schreie aus der Ferne, es zischten keine Reifen, weder Hunde noch Betrunkene klapperten an Mülleimern. Genausogut hätte die Londoner Nacht im Gleichschritt neben ihm

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