Blinder Einsatz
zum auserwählten Kreis und den entscheidenden Vorsprung gegenüber den anderen gewähren würde. Kurz und gut: das Sprungbrett zu Reichtum und Anerkennung. Und so wurde die Tradition der großen Ansprachen unter dem Vorwand der Transparenz fortgesetzt.
Boston, am folgenden Nachmittag
Im gut gefüllten Konferenzsaal flimmerten über einen riesigen Bildschirm Bilder von glücklichen Angestellten. Die außerordentliche Aktionärsversammlung der Kramer Investment fand im Bostoner Colonnade Hotel statt, eine Art symbolischer Beweis für die Bonität der Gruppe. Die Vorstandsvorsitzende gehörte der alten Industriellenfamilie Kramer an und leitete die Unternehmensgruppe mit ihren mehr als sechzigtausend Angestellten und einem Jahresumsatz von zehn Milliarden Dollar mit eiserner Hand. Die Jahresergebnisse waren bislang gut, doch in den Augen der Aktionäre, die in letzter Zeit anspruchsvoller geworden waren, konnten sie nie gut genug sein. Jane Kramer hatte dafür gesorgt, dass während ihrer Rede die zehnköpfige Führungsriege gemeinsam mit ihr auf dem Podium saß, denn sie wollte den Zusammenhalt der Gruppe demonstrieren und den Personenkult abschwächen, der seit einer Weile bei Großkonzernen zu beobachten war. Die ganze Veranstaltung war bis ins Letzte durchchoreographiert.
Eine gewisse Unruhe machte sich im Publikum breit. Es war das erste Mal, dass Kramer Investment seine Aktionäre außerhalb der Jahresversammlung einlud. Fünfundsechzig Prozent des Firmenkapitals waren im Besitz der Familie Kramer, der Rest war zwischen großen institutionellen Anlegern und kleinen Sparern aufgeteilt. Da die Aktionäre in der Minderheit waren, hatten sie nur einen geringen Einfluss auf die Entscheidungen. Dennoch mussten sie zufriedengestellt werden, um massive Aktienverkäufe zu verhindern, die zu einem Kursverfall auf den Finanzmärkten führen konnten. So etwas machte immer einen schlechten Eindruck.
Über dem Kopf der Vorsitzenden, die jetzt auf die Bühne trat, schwebte auf blauem Grund eine Devise, die etwas Magisches hatte, quasi den Erfolg und Ehrgeiz der Firmengruppe zusammenfasste:
»Durch Wettbewerb und Innovation zu neuen Horizonten.«
Jane Kramer ergriff das Wort:
»Ich freue mich sehr, Sie heute zu dieser außerordentlichen Versammlung begrüßen zu dürfen. Viele von Ihnen haben sich im Vorfeld an mich gewandt, um mehr zu erfahren, teilweise in großer Sorge. Ihnen allen habe ich geantwortet: ›Warten Sie meine Rede ab und seien Sie versichert, es handelt sich um eine gute Nachricht.‹ Dass sich unsere Firmengruppe Jahr für Jahr so finanzstark präsentiert, ist den Investitionen zu verdanken, die jeder der hier Anwesenden getätigt hat, und natürlich auch den Angestellten, ohne die das alles nicht möglich wäre.
Vier Faktoren erklären unser Wachstum:
Verstärkte Investitionen im Marktsegment der Medikamente für Senioren,
die Erschließung neuer Märkte durch sogenannte Trendlebensmittel der Powerfood Corporation,
die Öffnung der Märkte für gentechnisch verändertes Saatgut,
Stabilität gegenüber den Auswirkungen der amerikanischen Wirtschaftskrise dank gesunder Investitionen.
Diese vier Faktoren, die den Erfolg von Kramer Investment ausmachen, resultieren aus strategischen Managemententscheidungen, die vor einigen Jahren getroffen wurden und sich heute als richtig erweisen.
Kramer Investment leitet seine Werte aus der unternehmerischen Tradition der Familie Kramer ab. Zu einem Zeitpunkt, da die Weltfinanzen von spekulativen Fonds beherrscht werden und die Kritik an der Kluft zwischen Investitionen und industrieller Wirklichkeit immer stärker wird, darf unser Konzern stolz darauf sein, nie spekulativ investiert zu haben. Die vielzitierte Immobilienkrise hierzulande hat unsere Aktivitäten und finanziellen Ressourcen nicht beeinträchtigt – weder in den USA selbst noch in unseren ausländischen Zweigstellen. Wir investieren in konkrete Projekte, die Zukunft haben. Unserer Meinung nach ist das die einzige Art, Werte zu schaffen.
Mein Urgroßvater Henry gründete vor achtzig Jahren die Firma KPharma mit der Absicht, ein Familienunternehmen im pharmazeutischen Sektor zu schaffen. Dreißig Jahre später hinterließ er seinem Sohn einen der größten Arzneimittelhersteller. Aber wir waren nie nur Industrielle, nie nur Apotheker, wenn ich so sagen darf.
Vor fünfundzwanzig Jahren beschloss mein Vater, die industriellen Bestrebungen des Familienunternehmens in finanzielle zu verwandeln.
Damals
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