Blinder Einsatz
politische Risiko ist, wenn wir zum Schein auf den einen oder anderen Bestechungsversuch eingehen. Solche Dinge müssen immer mit größter Sorgfalt durchgeführt werden, sonst stürzt sich sofort die Presse darauf. Beim geringsten Korruptionsverdacht muss die gesamte Kommission zurücktreten. Das würde viele Jahre Arbeit zunichtemachen und bringt uns in Misskredit in den Augen der europäischen Bürger, die ohnehin oft ihre Probleme haben nachzuvollziehen, worum es in Brüssel eigentlich geht.«
Bei diesem Gedanken lächelte Eline Haarmet. Sie fuhr fort: »Gerade meine Arbeit wird besonders aufmerksam verfolgt, da ich direkten Einfluss auf die Zukunft mächtiger und finanzstarker Unternehmen habe. Wie nicht anders zu erwarten ist man auch an mich herangetreten. Man hat mir Geld dafür geboten, dass ich die Liberalisierung in gewissen Bereichen vorantreibe. Das Problem ist, dass ich nicht feststellen kann, von welcher Seite diese Angebote kommen. Ich habe die Polizei eingeschaltet, die Ermittlungen aufgenommen hat – derzeit noch ohne Ergebnis.«
Constance konzentrierte sich ganz darauf, der Europakommissarin zu folgen. Doch sie fragte sich, warum die Frau ihr das alles eigentlich erzählte.
»Interpol machte schließlich den Vorschlag, zum Schein auf einige Angebote einzugehen, um gewissen Netzen von Lobbyisten auf die Finger zu schauen, die geradezu mafiöse Strukturen aufgebaut haben. Die Lobbyisten der Internet-Casinos sind bei ihren Korruptionsversuchen am hartnäckigsten und spendabelsten. Aber eigentlich war ihr Anliegen nur, dass ich die Vorhaben zur Öffnung des Wettbewerbs auf dem deutschen und französischen Markt ein wenig beschleunige – was ohnehin geplant ist. Interpol hat mich also ermutigt, in diesem Fall zum Schein auf das Angebot einzugehen und direkt mit diesen Leuten zusammenzuarbeiten. Ich habe natürlich den Kommissionspräsidenten informiert. Die Sache ist gefährlich, aber sie bietet uns auch eine Gelegenheit zu demonstrieren, wie sehr der Kommission an ihrer Unabhängigkeit gelegen ist. Aber das alles muss Ihnen wie graue Theorie vorkommen.«
»Nein, gar nicht, es ist sehr interessant, fahren Sie fort.«
»Anfang des Jahres bot sich eine besondere Gelegenheit, es wurde mir sehr viel Geld angeboten, die Zahlung sollte über das Internet erfolgen. Nun sind wir dabei herauszufinden, wer hinter der Sache steckt. Die Summen, um die es geht, die Methoden der Kontaktaufnahme, der Druck, der ausgeübt wird, all das spricht dafür, dass es eine ganz große Sache ist. Zwei Mitarbeiter von Interpol, die an dem Fall arbeiteten, sind spurlos verschwunden. Was Sie mir über die Entführung Ihres Freundes und über das Massaker in Nanterre erzählt haben, spricht ebenfalls dafür, dass mehr dahintersteckt als ein paar übereifrige Lobbyisten. Die Leute auf der anderen Seite haben offenbar kalte Füße bekommen.«
Eline Haarmet schwieg einen Moment und wandte sich zum Fenster.
»Sie sind sicherlich schon selbst darauf gekommen: Ich bin nicht Judith. Und ich weiß auch nicht, wer das ist. Ich habe in diesem Spiel den Codenamen ›Alexandre‹. Ich brauche mich nur mit 20 000 Dollar an einen Online-Pokertisch zu setzen, und mein Gegner verliert absichtlich viermal hintereinander diese Summe gegen mich. So erfolgen die Zahlungen. Ich brauchte nicht einmal die Regeln zu kennen. Zum Schein ließ ich mich auf die Sache ein. Die Kontakte laufen über Kleinanzeigen in der New York Times . Die Person, mit der Sie mich auf dem Square Ambiorix gesehen haben, wird von uns beschattet.«
Sie drehte sich wieder zu Constance um.
»Ihre Geschichte bestätigt uns, dass es sich um eine Angelegenheit von höchster Wichtigkeit handelt. Wer genau die Spieler sind und um welche Einsätze es geht, ist noch nicht klar. Ich werde Sie auf dem Laufenden halten, aber wir dürfen von jetzt an keinen Kontakt mehr haben. Auch nicht per Telefon. Wenn ich mit Ihnen sprechen muss, werde ich Sie zu finden wissen.«
Constance nickte.
»Noch etwas: Ich habe bereits mit Interpol über Sie gesprochen. Mein Verbindungsmann dort hat mir empfohlen, Sie über meine Rolle in dieser Angelegenheit aufzuklären, falls Sie sich noch einmal bei mir melden sollten. Er wird mit Ihnen Kontakt aufnehmen.«
Das Gespräch endete ebenso frostig wie der Wortwechsel am Morgen im Mercedes. Aber das Resultat war nun doch ein ganz anderes.
Eline Haarmet war also tatsächlich in diese Geschichte verwickelt, allerdings offenbar auf der guten Seite.
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