Blinder Einsatz
barscher.
»Und wenn ich mich weigere?«
»Das werden Sie nicht tun, denn Sie wollen ja etwas erfahren.«
Constance sah sich um und versuchte, den Anrufer auszumachen. Es war nicht dieselbe Stimme, die ihr an Wills Todestag gedroht hatte. Das Handy noch immer am Ohr bog sie rechts in die nächste Straße ein.
»Gut so. Jetzt gehen Sie ganz ruhig weiter, immer geradeaus und am Rand des Bürgersteigs entlang. Ein Auto wird auf Ihrer Höhe halten. Man wird Sie nur nach Ihrem Vornamen fragen. Antworten Sie und steigen Sie ein.«
Constance, die durch diese geheimnisvollen Anweisungen wie gelähmt war, hatte keine Zeit mehr nachzudenken, denn neben ihr hielt bereits ein Wagen. Die Scheibe der Beifahrertür glitt herunter.
»Ihr Vorname?«
Sie atmete tief durch.
»Constance.«
Die hintere Wagentür öffnete sich. Constance stieg ein und schloss die Tür, die sich automatisch verriegelte. Sie war allein im Fond. Um sie herum nur getöntes Glas, vor ihr eine Trennscheibe! Keine Chance, ein Wort mit dem Chauffeur zu wechseln. Aber sie war derart verunsichert, dass sie sich ohnehin nichts zu sagen traute. Eine Stimme ertönte:
»Seien Sie ganz unbesorgt. Das ist eine reine Vorsichtsmaßnahme. In zwanzig Minuten sind wir da.«
Es war zu spät, darüber nachzudenken, ob sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. Nun blieb ihr nichts anderes übrig, als zu warten. Zwanzig Minuten später hielt der Wagen. Die Zentralverriegelung öffnete sich. Constance stieg aus und wurde von zwei Bodyguards in Empfang genommen. Sie befanden sich in einer Tiefgarage. Mit dem Aufzug fuhren sie in den sechsten Stock. Dort führte man sie in ein Büro und bat sie zu warten. Durch ein Fenster beobachtete Constance das geschäftige Treiben um sie her. Überall waren Bildschirme, Telefone klingelten.
»Guten Tag, ich bin Neil O’Brien von Interpol.«
»Interpol? Warum haben Sie das denn nicht gleich gesagt? Was soll ich hier?«
»Ich verstehe, dass unsere Vorsichtsmaßnahmen Sie verwundern, aber sie sind leider unumgänglich. Sie müssen begreifen …«
»Was soll ich hier?«
Constance wollte von Anfang an klarstellen, dass sie sich nicht zum Narren halten ließ.
Neil O’Brien nahm ihr gegenüber Platz und schaltete einen Computer ein. Dann zeigte er ihr Fotos von Eline Haarmets Treffen am Square Ambiorix. Am Bildrand entdeckte sie sich selbst.
»Sie waren dort. Dann haben Sie es so eingerichtet, dass Sie mit Madame Haarmet sprechen konnten. Sie hat Kontakt zu uns aufgenommen, und wir haben ein paar Recherchen über Sie angestellt. Im Grunde kannten wir Sie bereits. Natürlich nicht direkt, aber die Firma, für die Sie tätig sind, hat schon für uns gearbeitet.«
»Madame Haarmet hat mir das bereits erklärt.«
»Das war unsere Empfehlung, denn wir sind überzeugt davon, dass Sie uns helfen können.«
»Wie?«
»Offenbar ist Ihr Freund verschwunden. Wir haben keine Ahnung, welche Rolle er in dieser Sache spielt. Sie müssen wissen, dass Sie es mit einer internationalen Korruptionsgeschichte zu tun haben, die über Online-Spiele abgewickelt wird. Vor Kurzem haben wir ein Netz enttarnt, das offenbar aus dem Nichts entstanden ist und einflussreichen Persönlichkeiten erhebliche Geldbeträge zukommen lässt. Es geht um Lobbyisten, die eine Liberalisierung der Online-Spiele erreichen wollen. Aber wir wissen noch immer nicht, wer dahintersteckt und ein Interesse daran hat, diesen Markt auszubauen. Wir haben Madame Haarmet überzeugen können, mit uns zusammenzuarbeiten, und wir bitten Sie um dasselbe.«
»Ich wüsste nicht, wie ich Ihnen helfen könnte.«
»Ganz einfach. Die Tatsache, dass Sie jetzt hier bei mir sind, beweist, dass Sie schon viel herausgefunden haben. Genug, um diesen Dunkelmännern Angst zu machen. Ihr Freund ist vielleicht deren einzige Schwachstelle. Wir wissen, dass er Online-Poker gespielt hat. Aber als Organisation sind uns die Hände gebunden: Wir können dort keinesfalls direkt selbst agieren. Viele Menschen glauben, wir wären eine Art internationale Polizei, die in Zusammenarbeit mit den nationalen Geheimdiensten weltweit operiert. Doch das stimmt nicht. Wir sind nur Beobachter, die Informationen zusammenführen. Was aber die konkrete Arbeit vor Ort angeht, sind wir machtlos. Es ist sehr schwer, einen Polizisten in einem fremden Land einzusetzen. Es gibt zwar Dienstwege, aber die sind lang und kompliziert. Also bleibt uns nur, die örtliche Polizei mit einer Angelegenheit zu betrauen, deren genauen
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