Blinder Einsatz
sich darauf ein, dass er Sie kontaktiert. Seien Sie möglichst unbefangen, wenn Sie mit ihm zu tun haben. Sonst wird er Sie noch dazu bringen, Dinge einzuräumen, die Sie später bereuen könnten.«
Die Pharmaindustrie war vor zwei Jahren von diesem van Manneken ordentlich vorgeführt worden. Seitdem wäre er beinahe zweimal einem »Unfall« zum Opfer gefallen. Doch er hatte Glück gehabt. Außerdem schien er über ein solides Netz guter Kontakte zu verfügen, darunter wohl auch hochkarätige Leute, die ihm offensichtlich etwas schuldeten. Stets war es ihm gelungen, genügend Material zusammenzutragen. Und einschüchtern ließ er sich nicht.
»Das gilt natürlich auch für Sie, Dirk«, meinte Dr. Neumann, an Jonas’ Kollegen gewandt.
»Selbstverständlich, Doktor«, erwiderte dieser, ohne auch nur von seinem Mikroskop aufzublicken.
Hastig notierte er gerade ein paar Zahlen auf einem Stück Papier und wechselte geschäftig zwischen Reagenzgläsern, den Zentrifugen und den Soxhlet-Extraktoren hin und her.
Dr. Neumann kehrte in Begleitung von Jonas in sein Büro zurück. Er holte sich die Akten sämtlicher Patienten der Aspectil-Versuchsreihe aus dem Schrank. Den Rest der Nacht verbrachten beide damit, einen neuen Behandlungsplan mit verkürzten Dosierungszeiträumen aufzustellen. Zudem wollten sie einen Probanden auswählen, der eine Erhöhung der Dosen verkraften würde. Es musste allerdings gewährleistet sein, dass sich der Kandidat peinlich genau an die verordnete Menge hielt. Er sollte unter strenger Beobachtung stehen, andernfalls konnte die Situation eine dramatische Entwicklung nehmen. Rasch waren sie sich einig: Lars Loy würde der Erste sein.
3
Das Unvorhergesehene ist keinesfalls das Unmögliche:
Es ist eine Karte, die stets mit im Spiel ist.
Comte de Belvèze Pensées, Maximes et Réflexions
Amsterdam
Lars gewöhnte sich an, allabendlich schriftlich Bilanz zu ziehen, wie Dr. Neumann es ihm aufgetragen hatte. Am Anfang hatte er lediglich ein paar Stichpunkte und seine Termine notiert. Bei der ersten Untersuchung forderte der Arzt ihn auf, ein richtiges Tagebuch zu führen, aber nicht zu lange darüber nachzudenken, was er aufschrieb. Dann sollte er das Ganze noch einmal lesen und die für den Medikamententest relevanten Bemerkungen herausfiltern. Mit der Zeit fand Lars Gefallen an dieser Übung. Das war etwas ganz anderes als die endlosen Diskussionen mit seinen Freunden im Café Luxembourg. Hier war er gezwungen, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Es genügte nicht, sich Geschichten über sein Leben auszudenken. Er wurde selbstkritischer. Das Geschriebene offenbarte ihm bestimmte Angewohnheiten und Verhaltensweisen, deren er sich gar nicht bewusst gewesen war. Er zog sich von seinen Freunden zurück, streifte gerne an den Amsterdamer Kanälen entlang, den Sound von Arcade Fire und Coldplay im Ohr, und ließ sich des Öfteren auf einer Bank nieder. Er liebte die Stille des Sarphatiparks, wo sich Leute regelmäßig zu Yoga-Übungen trafen.
Bisher hatte das Medikament keine nennenswerten Nebenwirkungen gezeigt. Die stationären Aufenthalte waren erträglich gewesen. Bis auf den ersten, bei dem er nach drei Tagen Nichtstun und Fernsehen absolut die Nase voll gehabt hatte. Für die nächsten deckte er sich mit Büchern und DVDs ein.
22. Oktober
Wir haben die erste Klausur des Semesters zurückbekommen. Internationales Marketing: 5 von 20 möglichen Punkten. Kein großes Drama, das Semester hat schließlich erst angefangen. Der Prof schien verwundert. Plötzlich fühlte ich mich unwohl, vor allem wegen der Blicke der anderen. Ich will nicht als schlechtester Student des Jahrgangs dastehen. Doch momentan habe ich andere Prioritäten.
Anschließend sind wir ins Café Luxembourg gegangen. Ich habe mich hauptsächlich mit Laura unterhalten, die sich in letzter Zeit stärker für mich zu interessieren scheint. Augenblicklich hatte ich meine schlechte Note vergessen. Meine Gelassenheit überraschte sie, sie hatte geglaubt, mir würde das Ergebnis mehr ausmachen. Wenn wir miteinander sprechen, weiß ich nie, wie ich mich geben soll. Doch diesmal lief es echt gut.
23. Oktober
War gerade auf der Bank. Ich bin schon wieder pleite und muss dringend 400 Euro auftreiben. Der Typ von der Bank hat gedroht, meine EC-Karte einzuziehen. Ich habe ihm erklärt, dass ich das bis morgen geregelt hätte. Keine Ahnung, ob er mir geglaubt hat. Vielleicht streckt mir ja das Labor etwas Geld vor, ich muss
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