Blinder Hass
»Ich setz die beiden da dran. Die wurden eh schon unruhig.«
»Sorgen Sie aber um Himmels willen dafür, dass die diese Leute nicht zusammenschlagen«, sagte Virgil. »Das sind alte Leute.«
»Sie meinen also, wir sollten nur junge Leute zusammenschlagen?«, fragte Davenport. »Es gibt aber genauso viele alte Arschlöcher wie junge. Besonders seit die Babyboomer alt geworden sind.«
»Ja, schon … Mir wär’s halt nur lieber, wenn meine Zeugen nicht an einem Herzinfarkt sterben würden. Sagen Sie den beiden, sie sollen’s ruhig angehen. Nicht treten.«
»Ich dachte, Sie wollten denen Angst einjagen«, sagte Davenport.
»Nur ein bisschen Angst«, erwiderte Virgil. »Nicht zu viel.« Im Motel standen drei mit Klebeband verschlossene Kartons hinter dem Rezeptionstisch. »Die wurden vor einer halben Stunde gebracht«, erklärte der Angestellte. »Der Typ hat gesagt, die wären aus St. Paul.«
Die Kartons fühlten sich an, als wären Ziegelsteine drin. Virgil schleppte sie in sein Zimmer und packte die Papierstapel aus. Viel zu viel Zeug, aber man musste es durchsehen. Zumindest einen Teil davon.
Bevor er damit anfing, rief er nochmals Davenport an, erhielt einen Namen, rief jemanden beim Staatsministerium an und erfuhr, dass er sämtliche aktuellen Firmendaten, einschließlich der vertraulichen Dateien, online einsehen konnte, wenn er ein Passwort hatte. »Ich gebe Ihnen ein befristetes Passwort, nämlich Chuzzlewit«, sagte der Mann, der Martin hieß. Er buchstabierte das Passwort. »Das ist bis nächsten Mittwoch gültig. Wenn Sie noch eins brauchen, rufen Sie mich an.«
»Was ist ein Chuzzlewit?«
»Das ist ein Wort, das wahrscheinlich kein kleiner Hacker-Freak bis nächsten Mittwoch rauskriegen wird«, sagte Martin.
Also nahm Virgil, der wenig Lust hatte, sich an den Papierstapel heranzumachen, seinen Laptop und starrte eine Weile darauf. Ein Problem spukte ihm seit ungefähr einem Tag im Hinterkopf herum, und er schob die CD ein, die Stryker ihm am ersten Tag gegeben hatte, die mit den schriftlichen Unterlagen zum Fall Gleason. Darauf waren außerdem etwa zweihundert Fotos im JPG-Format vom Tatort. Er klickte eine halbe Stunde lang darin herum, dann brummte er ein zufriedenes »Mhm« vor sich hin.
Kein Exemplar der Offenbarung, soweit er feststellen konnte.
Dann ging er online ins Staatsministerium und suchte nach Florence Mills Inc.
Florence Mills war laut den Angaben in der ursprünglichen Eintragung vor drei Jahren gegründet worden, »um Betriebe zu bauen, zu kaufen oder anzumieten, in denen auf der Basis von Mais und Rutenhirse Äthanol als erneuerbarer Brennstoff produziert werden soll«. Es handelte sich um ein Joint Venture von Arno Partners, einer in Delaware eingetragenen Kapitalgesellschaft, und St. John Ventures mit Sitz in Coeur d’Alene, Idaho.
Das gab nicht viel her. Virgil hatte das Gefühl, dass die Firma in Delaware nur schwer zu überprüfen sein würde. In Delaware war es sehr einfach, eine Firma zu gründen. Man verlangte dort nur minimale Informationen, hielt sich aber peinlich genau an die Vorschriften, wenn jemand Firmendaten einsehen wollte.
In Idaho könnte es leichter sein, dachte er, und das war es auch. Er rief beim Staatsministerium von Idaho an, wo man ihm erklärte, wie man frei zugängliche Firmendaten online einsehen konnte, und mit einer gewissen Vorahnung, was er finden würde, sah er unter St. John Ventures nach. Generaldirektor und Vorstandsvorsitzender war George Feur.
Er rief Stryker an. »Was habt ihr mit dem Büro von Judd senior gemacht? Hast du das versiegeln lassen oder was?«
»Ja. Kann allerdings nicht dafür garantieren, dass Junior nicht doch reingekommen ist. Ihre Büros sind direkt nebeneinander. Wenn da noch ein großer Pott mit Geld stand oder so was …«
»Ich muss da rein«, sagte Virgil. »Und zwar sofort.«
»Ich komme. Wir treffen uns dort.«
Zu Judds Büro gehörten ein kleines, zur Straße hin liegendes Wartezimmer mit einem Schreibtisch für eine Sekretärin, ein Nebenzimmer mit einem Kopierer, einem Drucker und einem halben Dutzend Aktenschränken sowie ein großes Chefzimmer mit Ledersesseln, dunkler Holzvertäfelung und einem nagelneuen Breitbildfernseher, der oben auf einem Barschrank stand. Neben dem Büro befand sich auf einer Seite die Zeitungsredaktion und auf der anderen das Büro von Judd junior. Sie sahen weder den Zeitungsredakteur noch Judd junior, als sie das Büro von Judd senior aufschlossen.
Während
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