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Blinder Hass

Titel: Blinder Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Sandford
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Gesicht wirkte verschlafen.
    Sie öffnete die Tür und sagte: »Sie sind bestimmt Mr. Flowers.«
    »Ja, der bin ich«, erwiderte Virgil und hielt seinen Ausweis hoch.
    »Michelle hat gesagt, dass Sie vielleicht kommen würden«, sagte sie und stieß die Tür ganz auf.
     
    Virgil folgte ihr an der Küche vorbei in ein winziges Wohnzimmer. Reynolds war nicht bloß übergewichtig, sie war krankhaft fettleibig. Virgil schätzte, dass sie fast drei Zentner wiegen musste, obwohl sie nur eins fünfundsechzig groß war. Im Haus stank es nach Pommes und Fett, und Fenster und Türen waren geschlossen. Im Wohnzimmer stand ein Teller mit drei übrig gebliebenen kalten Fritten neben einem offenen Glas Mayonnaise. Reynolds nahm eine der Fritten, tunkte sie in die Mayonnaise und zeigte auf einen plüschigen roten Ruhesessel. »Setzen Sie sich«, sagte sie und aß die Fritte.
    Virgil setzte sich. »Ich bin dabei, mit Leuten zu reden, die in den späten sechziger und in den siebziger Jahren eine Beziehung zu Bill Judd senior hatten«, sagte er. »Ich möchte niemanden in Schwierigkeiten bringen, sondern versuche nur herauszufinden, ob damals etwas passiert ist, das zu diesen Morden geführt haben könnte. All diese Leute waren im selben Alter …«
    »Dann haben Sie sich aber wohl um eine Generation vertan. Die waren alle zwanzig Jahre älter als wir Mädels.«
    »Ja, aber ich kann mich nur an Sie wenden«, sagte Virgil. »Ich möchte Sie gern Folgendes fragen, ganz unter uns: Hatten die Gleasons oder die Schmidts oder die Johnstones irgendwas mit … mit diesen Verhältnissen bei Judd zu tun?«
    Sie wirkte bestürzt. »Die Johnstones? Sind die Johnstones etwa auch tot?«
    »Nein, nein, ich hätte das deutlich machen sollen. Ich hab sie nur genannt, weil sie im gleichen Alter sind und vielleicht in etwas verwickelt waren, dessen Folgen sich jetzt zeigen. Wir glauben, dass es sich um etwas Schwerwiegendes handeln muss, wie Rache, etwas, das lange geschwelt hat. Da Gleason Arzt war und zeitweilig auch Coroner, Schmidt Sheriff und Johnstone Bestatter …«
    »Ich verstehe, worauf Sie hinauswollen«, sagte sie. Sie dachte einen Moment nach. »Mir fallen aber nur zwei Sachen ein, die Geschichte mit der Jerusalem-Artischocke und dann der Sex. Vielleicht hat der Ehemann von irgendwem das mit dem Sex gerade erst erfahren und konnte die Vorstellung nicht ertragen. Andererseits ist das schon sooo lange her. Die Leute sind doch nicht so nachtragend wegen Sex, ist doch nur ein bisschen Rumgemache im Dunkeln. Keine große Sache.«
    »Das sehen einige Leute etwas anders«, sagte Virgil. »Michelle hat mir erzählt, dass das wohl die beste Zeit ihres Lebens war. Zumindest hatte sie damals den meisten Spaß.«
    Eine Falte breitete sich über die untere Hälfte von Reynolds Gesicht aus, und Virgil wurde plötzlich klar, dass sie lächelte. »Michelle war ziemlich verrückt«, sagte Reynolds. »Sie mochte alles: mit Jungen, mit Mädchen, von vorn, von hinten und auch Neunundsechzig.« Sie wies mit einem Finger auf Virgil. »Da fällt mir noch was ein. Polaroidfotos waren damals eine große Sache, und Bill hat ab und zu Fotos gemacht. Sie wissen schon, Heimporno. Man konnte sogar Diafilme für Polaroidkameras kriegen, sie selbst entwickeln und dann Diashows machen.«
    Virgil fühlte sich allmählich unbehaglich. »Sie meinen, dass einige dieser Bilder …«
    »Na ja, mal angenommen, ein Vater oder Bruder oder Ehemann sieht ein Bild, auf dem ein paar Typen sein kleines Mädchen luftdicht machen. Das könnte schon was auslösen«, sagte sie.
    Luftdicht. Das würde er nachher bei Google nachschlagen. »Michelle hat gesagt, soweit sie weiß, hätte nur noch ein weiterer Mann … mitgemacht. Der Leiter der Post.«
    »Das waren mehr«, erwiderte sie. »Noch zwei oder drei, aber nicht alle von hier. Die Mädels waren übrigens auch nicht alle von hier. Ein paar kamen aus Minneapolis hierher, eine kam aus Fargo. Aber wie ich schon sagte, diese Dinge werden irgendwann belanglos. Wen kümmert das noch, wenn man fünfundfünfzig und fett ist? Ich an Ihrer Stelle würde mich auf den Beschiss mit der Jerusalem-Artischocke konzentrieren. Ja, das würd ich tun.«
    »Sie meinen, da könnte mehr Zündstoff drinstecken?«
    Sie wies erneut mit dem Finger auf Virgil. »Hören Sie, Sie sind ja nicht von hier. Diese Geschichte … da muss man dabei gewesen sein. Alte Männer haben auf der Straße geweint. Die Leute haben alles verloren, was sie hatten. Sie hatten Kredite

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