Blinder Instinkt - Psychothriller
nahe kamen, stellten sie sich auf die Hinterbeine. Eine Angriffsstellung, bei der Franziska sogar aus der Entfernung die schwarz glänzenden Fänge sehen konnte.
Franziska hatte keine Ahnung von Spinnen, sie wusste nicht, welcher Gattung diese hier angehörten, aber in Deutschland kamen sie ganz sicher nicht vor.
Gerade lief wieder eine direkt auf die Treppe zu. Sie schoss über die Kante des Teppichs, schien ein bestimmtes Ziel zu haben, verschwand kurz darauf aus dem beleuchteten Teil des Raumes, und Franziska geriet in Panik, weil sie glaubte, die Spinne an dem Holz der Treppe hinaufkriechen zu hören.
Warum auch nicht?
Sie könnten alle heraufkommen und sie beißen. Sie war das perfekte Opfer. Und ein einziger weiterer Biss würde reichen, um sie sofort zu töten.
Ein heftiger Krampf fuhr durch ihren Körper, sammelte sich im Unterleib und ließ sie in ihrer halb liegenden Position zusammenzucken. Dabei bewegte sie den gebrochenen Arm, nahm diesen Schmerz aber kaum noch wahr.
Franziska presste die Kiefer und Lider zusammen, versuchte es zu ertragen, stöhnte dabei verhalten und spürte, wie ihr der Speichel aus dem Mund troff. Der Tod schnellte vor, stach zu, und zog sich wieder zurück. Er wollte sein Opfer nicht schnell, er wollte es quälen, wollte die Zeitspanne zwischen Schmerz und Tod, die den Menschen solche Angst machte, möglichst lange ausdehnen.
Lass es doch einfach zu! Lass dich fallen, gleite, es ist wie ein Gleiten auf Wellen, es trägt dich dorthin, wo keine Schmerzen mehr sind, nur Frieden …
Teil 3
1
An diesem Ort konnte ihn niemand sehen.
Niemand konnte hier sehen, außer ihm selbst.
An diesem Ort fand er Ruhe und Schutz vor den Augen der Anderen, und auch der alte, verhasste Abzählreim existierte hier nicht. Er saß an einem der vielen Tische im großen Saal. Einzig die Glühlampe über diesem Tisch streute gelbliches Licht in die ausufernde Dunkelheit. Um ihn herum tanzten die Geister der Vergangenheit, stoben den Staub auf, der ihm in die Nase stieg, ließen ihn ansonsten aber in Frieden.
Vor wenigen Minuten noch hatten seine Finger stark gezittert, in seinem Kopf hatte es gepocht, und sein Körper war voller Unruhe gewesen. Er hatte sich entwurzelt gefühlt, so wie ein vom Sturm gefällter Baum, dessen Wurzeln in die Höhe ragten, nicht mehr länger geschützt vom Erdreich, allen Blicken dargeboten. Seine Fahrt hierher hatte einer panischen Flucht geglichen. Er hatte all die Blicke gespürt, die nach der Tat im Haus seiner Eltern zu ihm durchgedrungen waren, ihn durchschaut hatten. Auch den Reim hatte er gehört, immer und immer wieder.
… meinem Blick entgehst du nicht, kenne ich doch dein Gesicht …
Vorbei! Für immer vorbei!
Hier war er in Sicherheit.
Mit jeder einzelnen Spielkarte aus dem neuen Deck waren Ruhe und Gelassenheit zurückgekehrt. Dame auf Dame, Bube auf Bube, König auf König, erst die Figuren, dann die Zahlen. Jede Karte musste exakt ausgerichtet werden, so dass die Kanten eine Linie ergaben. Auch die Abstände zwischen den einzelnen Streifen mussten genau übereinstimmen.
Nur so war es perfekt!
Mit der wohlgeordneten Struktur des Blattes kehrte Ruhe zurück in seinen Kopf und Körper. Die Nackenmuskeln begannen sich zu entspannen, in seinen Eingeweiden verebbte das Kribbeln.
In den letzten Tagen war alles ein wenig aus dem Ruder gelaufen. Das hatte er weder voraussehen, noch durch bessere Planung verhindern können, es war einfach geschehen. Doch er hatte sich dadurch nicht in Panik versetzen lassen, hatte gehandelt und die Probleme somit gelöst. Jetzt konnte er sich endlich voll und ganz seiner Neuen widmen. In den letzten Tagen war sie viel zu kurz gekommen.
Ein bisschen Vorbereitung noch, dann war er bereit für sie, bereit für die Jagd. Die Jagd war jetzt genau das, was er brauchte.
Er stand auf und trat vom Tisch zurück. Zog sein Hemd und das Unterhemd aus, legte es ordentlich über der Stuhllehne ab, achtete darauf, die Karten nicht durcheinanderzubringen. Schließlich nahm er den dicken Wachsstift mit den Tarnfarben zur Hand, schraubte die Kappe ab und setzte ihn oberhalb des Hosensaums auf seinen Bauch. Ohne Unterbrechung zog er einen breiten Streifen schräg von unten bis über das Schlüsselbein. Das wiederholte er so lange, bis sein Oberkörper komplett mit der schwarz-oliven Tarnfarbe bemalt war. Danach zog er dünnere Striche durch sein
Gesicht, ließ dabei aber den immer noch schmerzhaft geschwollenen Bereich um die Bisswunde
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