Blinder Instinkt - Psychothriller
aus. Er malte auch über seinen Bart, in dem die Wachsfarbe in dicken Brocken hängen blieb.
Als er fertig war, war der Stift zur Hälfte aufgebraucht.
Er fühlte sich gut!
Stark und gnadenlos!
Wie die großen Jäger der Natur, die kein Mitleid kannten, nicht einmal mit sich selbst. Er sah ein letztes Mal auf das geordnete Kartenblatt hinunter, nahm den Anblick in sich auf, lächelte grimmig, trat schließlich vom Tisch weg und drehte sich um.
Nur dieser eine Tisch war beleuchtet, der Rest des großen Saales lag im Dunkeln. Genauso mochte er es. Ein wirklicher Jäger brauchte für die Jagd kein Licht, er verließ sich auf seine anderen Sinne, die den Augen weit überlegen waren. Das hatte er trainiert, viele Jahre lang, um so fühlen und denken zu können wie seine Opfer. Wenn er es wollte, war er so blind wie sie.
Auf seinem Weg zwischen den Tischen und Stühlen hindurch, die noch so dastanden, als wäre die letzte Feierlichkeit gestern gewesen, stieß er nirgendwo an. Er ging betont langsam, so als müsse er sich heranpirschen, übte sich dabei in völliger Geräuschlosigkeit. Er verließ den Saal durch die Pendeltür zur Küche.
Aus dem Kühlschrank nahm er eine Packung Milch. Laut Datum war sie noch zwei Tage haltbar. Er stellte sie zusammen mit einem sauberen Glas auf dem großen Tisch in der Mitte der Küche ab. Dann suchte er sich alle notwendigen Lebensmittel zusammen und beschmierte ein paar Brote mit Butter, Salami und Käse. Sie musste jetzt erst mal eine kräftige
Mahlzeit zu sich nehmen. Bestimmt war sie furchtbar hungrig, und für die Jagd musste sie in guter Verfassung sein. Während er die Brote beschmierte, wuchs die freudige Erregung in seinem Inneren. Er konnte es kaum noch erwarten, doch ein guter Jäger verstand es auch, sich in Geduld zu fassen. Das hatte er schon im frühen Kindesalter von seinem Onkel beim Angeln gelernt.
Als er zuletzt die Butter zurückstellte, überprüfte er im Licht des Kühlschrankes die auf der oberen Glasplatte sauber aufgereihten kleinen Glasampullen. Es waren braune Flaschen mit weißen, von Hand beschriebenen Etiketten. Jede einzelne hatte er selbst abgefüllt. Die Menge stimmte jeweils auf den Milliliter genau. Diese Gegengifte waren teuer, er konnte es sich nicht leisten, auch nur einen Tropfen zu verschwenden. Außerdem war die richtige Dosierung bei der Injektion wichtig. Er ließ seinen Blick über die zehn Reihen mit Ampullen gleiten. Von jeder Sorte war noch ausreichend vorhanden.
Sehr schön. Alles in Ordnung.
In dem Fach darunter befand sich die Ampulle mit dem Sekret des Pfeilgiftfrosches. Sein größter Schatz. Er hatte es nur aufgrund seiner langjährigen und guten Kontakte zu den Lieferanten in Südamerika bekommen, und es hatte ein Vermögen gekostet, aber das war es wert.
In die hintere Wand der Küche hatte er einen Durchbruch geschlagen, der auf den Wartungsgang der Kegelbahn führte. Dort, wo sich früher die elektrischen Vorrichtungen und die Plattformen für die Kegel befunden hatten, hatte er seine Kammern hineingebaut. Schallisoliert durch doppelte Wände, in deren Hohlraum sich sechzehn Zentimeter Dämmwolle befand.
Er blieb vor der ersten der drei Kammern stehen, drehte den Schüssel im Schloss, betätigte den außen angebrachten Lichtschalter, öffnete die Tür - und wich erschrocken zurück.
2
Kindler und Ziller warteten vor der Zoofachhandlung Sauter und Sohn, als Paul Adamek eintraf.
Nachdem er Sauter ergebnislos gecheckt hatte, hatte Paul weitere sechs Mal versucht, Franziska zu erreichen - ohne Erfolg. Das hatte ihn alarmiert, zumal sie auch in der Inspektion nicht gesehen worden war. Seit ihrem letzten Anruf waren mittlerweile zwei Stunden vergangen. So lange dauerte kein Gespräch, und so lange würde Franziska auch nicht ihr Handy ignorieren.
Paul hatte Kindler und Ziller zu der Adresse geschickt.
Volltreffer!
Auf der Straßenseite gegenüber dem Laden parkte Franziskas Dienstwagen! Kindler und Ziller hatten ihren direkt dahinter abgestellt. Das verlassene Auto steigerte die Anspannung in Paul noch mehr - jetzt war unmissverständlich klar, dass hier etwas nicht stimmte.
Er eilte zu den beiden Observationsbeamten hinüber. Zwischen ihnen stand eine ältere, beleibte Frau. Sie wirkte geschockt.
Kindler übernahm das Wort.
»Das hier ist Frau Zerhusen. Sie traf vor zwei Minuten hier ein, um mit Eduard Sauter zu sprechen. Sie hat uns etwas Interessantes erzählt. Das sollten Sie sich anhören.«
»Um was geht
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