Blinder Instinkt - Psychothriller
oben«, sagte Paul, kam hinter dem Tresen hervor und ging in den schmalen Gang, der an einer geschlossenen Tür mündete.
Kindler und Ziller folgten ihm.
3
Mitten im Flug, in diesem wunderschönen Moment voller Leichtigkeit, Anmut und Glück, drangen von allen Seiten Geräusche über den See. Ein tiefes Grummeln und Stampfen, wie von einem entfernten Gewitter, das aus der Weite die Macht seiner Stimme spielen ließ.
Franziska wollte aber nicht auf diese Stimme hören. Sie hatte den letzten Schritt bereits getan, hatte ihre Zehen vom Holzsteg gelöst, war bereit für den endgültigen Kuss des kalten Wassers, der alle Schmerzen und alles Leid hinwegfegen würde.
Lass mich gehen … Lass mich gehen … Lass mich gehen.
Aber die Stimme war anderer Meinung.
Ihr Grummeln wurde intensiver, das Stampfen realer.
Wie Schritte auf Holz.
Jemand näherte sich ihr vom Steg her! Franziska konnte die Erschütterung in dem Holz spüren, obwohl sie sich nicht mehr darauf befand. Nein, Irrtum! Großer Irrtum! Sie stand noch auf dem Steg, hatte sich gar nicht abgestoßen, befand sich nicht im freien Flug.
Sie drehte den Kopf, wie vorhin, als ihr Vater ihr zum Abschied zugewinkt hatte. Ihr Vater war nicht mehr da. Andere Männer, schwarz gekleidete Männer, kamen vom Land her über den Steg auf sie zugelaufen. Das Holz zitterte und bebte, der Steg wackelte, drohte zusammenzubrechen.
Franziska wollte ihnen zurufen, dass sie wegbleiben sollten. Es war gefährlich hier vorn, nicht jeder durfte hier stehen. Sie schon, es war schließlich ihr Zuhause, aber nicht diese Männer, die hatten hier nichts zu suchen.
Geht weg … Geht weg …
Sie hörten nicht. Das Poltern wurde lauter. Staub rieselte auf ihr Gesicht.
Auf ihr Gesicht?
Franziska schaffte es, die Augen zu öffnen.
Großer Gott, sie hatte sich nicht geirrt! Zwischen den Holzbohlen der Luke rieselte Staub herunter, der wie Geisterfinger ihr Gesicht berührte, ihr in die Augen fiel. Außerdem konnte sie Schritte hören. Schritte von mehreren Personen. Und Stimmen! Da oben unterhielten sich Männer. Es war gar nicht die Stimme des Gewitters, es waren wirkliche, reale Menschen. Über ihr. In dem Laden.
Schrei! Schrei dir die Seele aus dem Leib!
Aber ihre Zunge war zu stark angeschwollen, auch die Kehle fast zu. Außerdem fehlte ihr schlicht und einfach die Kraft für einen Schrei, den man dort oben hören würde. Jetzt waren sie da, suchten nach ihr, weniger als einen Meter über ihrem Kopf, und sie konnte sich nicht bemerkbar machen.
Lass dir etwas einfallen, Mädchen! Du wirst hier nicht sterben, während sie genau über deinem Kopf nach dir suchen.
Die Tatsache, dass nicht alles verloren war, dass ihr Leben weitergehen konnte, wenn sie sich nur stark genug anstrengte, aktivierte irgendwo in ihrem Körper ein letztes bisschen Kraft. Ein kleiner Funke, der ihre Muskeln noch einmal zum Leben erweckte, der sich um das Gift herumschlich, sich eine Hintertür suchte.
4
Die Tür führte auf einen kurzen, schmalen Flur. Rechts befand sich die Tür zur Straße hin, die Kindler schon von draußen überprüft hatte - sie war verschlossen.
Links führte eine Treppe ins Obergeschoss. Es war eine alte, mit verblichenem Linoleum ausgelegte Holztreppe, deren Stufen unter dem Gewicht der drei Männer knarrten. Paul ging mit nach vorn gestreckter Waffe voran. Am oberen Ende der Treppe erwartete sie abermals eine geschlossene Tür.
Pauls Herz raste, als er die Klinke niederdrückte. Seine beiden Kollegen auf der Treppe unter ihm konnten ihm kaum helfen, sollte hinter der Tür jemand lauern.
Aber da war niemand.
Abgestandener Geruch schlug ihm entgegen, sonst nichts.
Paul betrat die Wohnung von Eduard Sauter. Hinter ihm schoben sich Kindler und Ziller ebenfalls in den schmalen Flur.
Es war still. Von irgendwoher tickte leise eine Uhr.
»Franziska?«, rief Paul. Das war nicht unbedingt schlau, aber er konnte einfach nicht anders. Das Gefühl, dass ihr etwas zugestoßen war, verstärkte sich von Minute zu Minute.
Keine Antwort.
Sie teilten sich auf. Paul links, Kindler rechts, Ziller nahm die Tür gegenüber.
Paul sicherte das Schlafzimmer. Die Möbel in dem Raum - ein Doppelbett, ein Nachtschrank, ein Schminktisch, ein Kleiderschrank und ein stummer Diener - waren aus den siebziger Jahren. Billiges Furnierholz, ausgeblichen
und abgegriffen. Alles war akkurat aufgeräumt. Kleidungsstücke hingen sauber gefaltet auf dem Diener. Ein Paar Pantoffeln stand exakt ausgerichtet vor
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