Blinder Instinkt - Psychothriller
trotzdem immer fröhlich, der fröhlichste Mensch, den ich kannte. Was du siehst, das kann ich fühlen , hat sie immer gesagt. Wenn wir zusammen unterwegs waren, hat sie sich an meiner Schulter festgehalten, dann war ich ihre Augen …«
… der sicherste Platz auf der Welt ist hinter dir, Max …
Dieser Satz von ihr durchflutete ihn plötzlich, und er brachte den alten bitteren Schmerz mit sich. Sie hatte sich so geirrt.
Max schluchzte laut. »Ich … Ich habe sie im Stich gelassen.« Er legte seinen Kopf in den Nacken und schluckte die Tränen hinunter, den Schmerz, den Kloß in seinem Hals.
»Sie hat sich auf mich verlassen, und ich habe sie im Stich gelassen. Und dann ist dieser Mann gekommen und hat sie mir weggenommen. Genauso, wie er auch dich weggenommen hat.«
Er konnte nicht mehr sprechen. Seine Stimme versagte, wurde ertränkt von Tränen und bitterem Geschmack.
Aber dann hörte er das Scharren von Stuhlbeinen auf dem Parkett, als Sarah irgendwo in dem weiten, dunklen Saal einen Stuhl verschob.
»Beschreib mir die Sonne«, sagte sie unsichtbar aus dem Dunkel heraus.
Max wischte sich mit dem Handrücken unter der Nase entlang.
»Was?« Seine Stimme zitterte.
»Die Sonne. Beschreib sie mir, wie du sie ihr beschrieben hast.«
Es war ein Test. Sie würde aus ihrem Versteck kommen, würde ihm ihr Vertrauen schenken, wenn er ihr die Sonne so beschreiben konnte, wie er es für Sina getan hatte. Max schloss die Augen und erinnerte sich. Sofort waren sie da, diese poetischen, wie Musik klingenden Worte, die Sina so geliebt hatte.
»Die Sonne«, begann er mit leiser, aber fester Stimme. »Die Sonne hat keine Hände, aber sie kann dennoch streicheln. Du fühlst, wie sich ihre Finger an dein Gesicht legen, wie sie deine Haut wärmen, wie sie in dich eindringen und auch dein Herz wärmen. Mal so sanft wie der Hauch eines warmen Windes, mal so kräftig wie die Flamme eines Lagerfeuers, an dem du ganz nahe sitzt. Ihre Hände können deinen ganzen Körper einhüllen, und dann fühlst du dich so wohl und geborgen wie ein kleines Baby im Bauch seiner Mutter. Und wenn sie am Abend untergeht, die Sonne, dann tut sie das nicht schnell, sondern verabschiedet sich mit vielen kleinen Berührungen, dann ist es, als würdest du aus warmem Wasser aufsteigen, und dort, wo deine Haut nicht mehr im Wasser ist, spürst du die schwindende Sonne als kühlen Hauch, aber sie hinterlässt die Gewissheit, dass sie immer wiederkehren wird.«
11
Paul war angespannt und schaute immer wieder in den Rückspiegel. Überprüfte, ob Ziller und Kindler noch dran waren. Sie fuhren dicht hinter ihm, ihnen folgte ein Streifenwagen mit zwei uniformierten Beamten. Was sie dort draußen erwartete, in dem alten Gasthaus, von dem Frau Zerhusen berichtet hatte, wusste keiner von ihnen, aber nach dem, was bisher geschehen war, wollte Paul kein Risiko eingehen. Lieber mit der Kavallerie anrücken, als dort das Nachsehen zu haben. Es reichte, dass Franziska nichtsahnend zu diesem Zoofachhandel gefahren und in die Falle getappt war.
Damit war nicht zu rechnen gewesen, klar, aber Paul machte sich trotzdem Vorwürfe. Franziska hätte nicht allein fahren dürfen, er als ihr Partner hätte an ihrer Seite sein müssen, dann wäre nichts passiert, dann würde sie jetzt nicht mit dem Tode ringen. Diese Situation, dieser Drahtseilakt zwischen Familie und Beruf, war echt beschissen, und auf Dauer ging es so nicht weiter.
Erlebte er jetzt das, was viele andere Kollegen schon hinter sich gebracht hatten, inklusive Scheidung? Das wollte Paul nicht wahrhaben. Es konnte doch nicht sein, dass dieser Job alles andere auffraß und irgendwann jede Beziehung zerstörte. Er würde einen Weg finden, einen anderen als den bisherigen, denn der hatte Franziska in eine fatale Lage gebracht.
Sein Handy klingelte. Er nahm das Gespräch entgegen. Es war Sönke Ruge, ihr jüngstes Teammitglied. Paul hatte ihn ins Krankenhaus geschickt, damit er ihn auf dem Laufenden hielt.
Sönke sprach leise und mit belegter Stimme. »Keiner sagt mir was. Aber die laufen alle mit ernsten Gesichtern rum.Tut mir leid, ich kann dir nichts Neues sagen.«
»Bleib dran, okay? Und melde dich, wenn es was gibt.«
»Auf jeden Fall!«
Er drückte Sönke weg. Nichts Neues zu erfahren war weder gut noch schlecht, es war einfach frustrierend. Franziska war stark, sie würde kämpfen, aber in dem Laden war sie bereits tot gewesen, wenn auch nur kurz, deswegen wusste Paul wirklich nicht, woran er
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