Blinder Instinkt - Psychothriller
Reihe von harten Schlägen auf den Mann niedergehen. Gesicht, Bauch, Nieren, Gesicht, Solarplexus, jeder einzelne Schlag wohl platziert und mit kontrollierter Wucht. Max hätte härter zuschlagen können, hätte diesen wehrlosen, weichen Mann mit ein paar Schlägen töten können, doch das wollte er nicht.
Noch nicht.
Als er röchelnd zwischen den Spielkarten auf dem Boden lag und sein Blut den alten Parkettboden besudelte, hörte Max auf. Schwer atmend stand er über Eduard Sauter. Seine Knöchel schmerzten höllisch, aber diese Schmerzen waren gut.
»Du … sagst … mir … jetzt«, Max schnappte nach Luft, »was du … mit meiner … Schwester … gemacht hast.«
Er bekam nur ein blubberndes Röcheln als Antwort.
Max stolperte ein paar Schritte zurück und stützte sich an einem Tisch ab, versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Eduard Sauter würde ihm nicht mehr davonlaufen. Er würde nie wieder irgendwohin gehen. Aber Max war nicht bereit, von ihm abzulassen, ehe er nicht alles erfahren hatte. Zehn Jahre lang hatte er auf diesen einen Moment gewartet. Zehn Jahre lang hatte er gekämpft, hatte die falschen Gegner geschlagen, seine Wut an Menschen ausgelassen, die nichts damit zu tun hatten. Er hatte die Wahrheit gesucht, wo sie nicht zu finden war. Aber dort auf dem Boden lag der einzige Mensch, der die Wahrheit kannte, jetzt endlich. Er würde sie aus ihm herausschneiden, wenn es nötig sein sollte. Für Sina. Und auch für seinen Vater.
Max hob die Hände und betrachtete sie.
Sie waren voller Blut, die Knöchel schwollen bereits an. Hände, die töten konnten.
Oder doch nicht?
Max’ Körper bebte, seine gewaltigen Schultern zitterten. Ihm wurde plötzlich schlecht. Er schaffte es gerade so, sich nicht zu übergeben.
Ein Scharren ließ ihn aufschrecken.
Das Mädchen! Er hatte das kleine blinde Mädchen ganz vergessen.
»Sarah?«, fragte er in den dunklen Raum hinein. »Sarah, du musst keine Angst mehr haben. Er kann dir nichts mehr tun. Ich bin hier, um dich zu retten. Kannst du mich hören, Sarah?«
Sie antwortete nicht.
Max überlegte. Er konnte sie nicht einfach in ihrem Versteck belassen. Das kleine Mädchen durfte nicht mitbekommen,
was er mit Eduard Sauter tun würde. Sie war sicher total verschreckt und panisch und traute im Moment niemandem. Trotzdem musste er sie irgendwie hervorlocken und hinausbringen. Am besten in den Wagen, wo sie in Sicherheit sein würde.
»Sarah, bitte, komm raus, ich will dir doch nur helfen.«
Keine Antwort.
Max warf einen Blick auf Sauter. Der war völlig weggetreten, von ihm ging die nächste Zeit keine Gefahr aus.
Max ging dorthin, wo das Licht der einzigen Glühbirne ihn in Helligkeit tauchte, ließ sich zu Boden sinken und lehnte sich mit dem Rücken gegen einen Stuhl. Er zog die Beine an und verschränkte die Hände im Schoß.
»Weißt du«, begann er und wusste bis zu diesem Moment noch nicht, was er der kleinen Sarah erzählen sollte, damit sie ihm vertraute. Trotzdem waren ganz tief in ihm die richtigen Worte, und er spürte, dass sie hinauswollten. Also ließ er sich fallen, tief zurück in die Vergangenheit, als sein Inneres noch kein Gefängnis und sein Körper noch keine Festung gewesen waren. Als es einen Menschen in seinem Leben gegeben hatte, an dem ihm etwas lag … Den er liebte.
»Weißt du … Ich … Ich hatte eine kleine Schwester. Sina. Sie hieß Sina. Sie sah wirklich genauso aus wie du.«
Max musste unwillkürlich lachen und fuhr sich mit dem Finger über den Nasenrücken.
»Diese Sommersprossen, die wie Schmetterlingsflügel unter den Augen liegen, hast du die auch? Sina hatte sie. Und dazu kupferrotes Haar, das in der Sonne fast glühte. Ja, wirklich! Sie trug es immer zu Zöpfen geflochten, mit kleinen weißen Schleifen darin. Das sah ganz zauberhaft aus. Schade … Schade, dass sie es selbst nicht sehen konnte. Meine
Schwester … Sina … Sie war blind, genau wie du auch. Von Geburt an. Sie hat nie in ihrem Leben die Sonne oder die Wolken gesehen, aber das hat ihr gar nichts ausgemacht, ich habe ihr die Sonne oft beschrieben …«
Max spürte warme Tränen über seine Wangen laufen. Aber er war nicht traurig, ganz und gar nicht, fühlte sich plötzlich sogar glücklich, so als sei Sina an seine Seite zurückgekehrt. Ihre Hand war wieder da. Er spürte sie ganz deutlich auf seiner Schulter, dort, wo sie immer gelegen hatte. Warm und zärtlich. Max legte seine eigene Hand dorthin, spürte ihre Finger unter seinen.
»Sie war
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