Blinder Instinkt - Psychothriller
den bösen Mann fesseln, damit er nicht weglaufen kann. Das verstehst du doch, nicht wahr?«
Er zog ihre Arme auseinander, hielt sie aber weiterhin fest, knetete ihre Händchen. Sie sah zu ihm auf. Aus tränenfeuchten, roten Augen, in denen trotz ihrer Blindheit alle Emotionen auf einmal zu schwimmen schienen. Dann entwand sie ihm ihre Hände und legte sie an seine Wangen, ertastete sein Gesicht. Er ließ sie gewähren, auch wenn ihm die Zeit im Nacken saß. Zwar glaubte er nicht, dass Sauter sich so schnell von den Schlägen erholen würde, aber sicher konnte er nicht sein. Außerdem wollte er es jetzt endlich hinter sich bringen.
»Du kommst gleich zurück, versprich es mir«, sagte Sarah.
»Ich verspreche es. Und dann bringe ich dich nach Hause. Ist das okay?«
»Okay«, sie schniefte. »Aber ich verstecke mich hier drin.«
»Ja, tu das. Du kannst zwischen die Sitze auf den Boden krabbeln, da sieht dich niemand.«
Max half ihr dabei. Sie machte sich ganz klein, presste sich zwischen die Sitze und verschwand tatsächlich im Schatten.
»Ich schließe jetzt die Tür. Hab keine Angst, ich bin gleich wieder da.«
»Wie gleich?«
Max überlegte.
»Zähl bis hundert. Kannst du das?«
»Natürlich!«
»Wenn du bei hundert bist, dann bin ich wieder da.«
Damit drückte er die Tür ins Schloss, verriegelte aber den Wagen nicht, denn der Schlüssel steckte noch im Zündschloss.
Bis hundert zu zählen würde nicht lange dauern, und Max wollte die Kleine nicht enttäuschen, also musste er sich beeilen.
Auf dem Rückweg ins Gasthaus war sein Kopf plötzlich wie leer gefegt. Er wusste nicht mehr, was er tun sollte - was er mit Sauter tun sollte. Das kleine Mädchen hatte seine Wut verfliegen lassen. Seitdem er ihr von Sina und der Sonne erzählt hatte, fühlte Max sich auf eine angenehme Weise träge und ermattet, wie nach einem harten Training. Er glaubte nicht, dass er jetzt noch einmal die Kraft aufbringen würde, die er brauchte, um aus Sauter herauszuprügeln, was er wissen musste. Vielleicht sollte er ihn wirklich nur fesseln und der Polizei übergeben. Vielleicht war es das Beste.
Als Max den Saal betrat, war der Plan gefasst.
Und Sauter verschwunden!
Auf dem Parkett nur noch eine Blutlache, dort, wo er gelegen hatte.
Und eine Tropfspur, die davon wegführte in den hinteren, dunklen Bereich des Saales.
Max verengte die Augen zu Schlitzen, konnte aber nichts erkennen. War da nicht eine Tür? Dort neben dem langen Tresen? Die Blutspur schien genau dorthin zu führen. Max verstand zwar nicht, wie dieser zerbrechliche Mann sich so
schnell von den Schlägen erholt hatte, aber das spielte jetzt auch keine Rolle. Weit würde er mit seinen Verletzungen nicht kommen.
Auf dem Weg zu der vermeintlichen Tür machte Max einen Umweg und nahm die Brechstange mit, die er vorhin weggeworfen hatte. Mit dem harten, kalten Stahl in der Rechten machte er sich an die Verfolgung. Vielleicht war es ganz gut so! Einen am Boden liegenden Mann hätte er nicht geschlagen, aber wenn Sauter ihn angriff, sah es natürlich anders aus.
Es war tatsächlich eine Tür, die Max aus der Entfernung gesehen hatte. Eine Pendeltür. Auf der rechten Seite prangte deutlich der blutig-rote Abdruck einer Hand. Sauter war hier durchgegangen. Mit der Brechstange stieß Max die Tür auf, hielt sie geöffnet und schaute in einen schummrig beleuchteten Raum. Er tastete an der Wand nach einem Lichtschalter, fand und betätigte ihn. An der Decke flammten mühsam klackend ein paar Leuchtstoffröhren auf.
Es war eine Küche.
Niemand zu sehen.
Max ging hinein. Auf dem großen Tisch in der Mitte standen ein leeres Glas und eine Milchpackung, daneben ein Teller mit Krümeln darauf. Die Tür eines großen Kühlschrankes stand offen, Licht fiel heraus. Max warf einen Blick hinein. Außer ein paar Lebensmitteln befand sich eine Vielzahl kleiner Glasampullen darin. Die Beschriftung war in Latein und sagte ihm nichts. Aber irgendwie sah das Zeug gefährlich aus.
Max schloss die Tür und sah sich um.
Wo war Sauter hin?
Es gab kein Fenster, nur eine schmale Lichtleiste oben
in der Wand, die aber mit Holz vernagelt war. Erst auf den zweiten Blick fiel Max der Vorhang in der Wand neben einem großen Metalltisch auf.
Bewegte der sich etwa?
Die Brechstange fest umklammernd schlich Max auf den Vorhang zu. Er versuchte, nicht zu atmen, keine Geräusche zu verursachen. Hinter dem Vorhang, da war er sicher, lauerte Eduard Sauter. Wartete auf die Möglichkeit, ihm
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