Blinder Instinkt - Psychothriller
sagte Max.
»Inwiefern?«
Max berichtete ihm in kurzen Sätzen, was er von der Polizistin erfahren hatte.
»Es muss nicht sein«, sagte er nach einer kurzen Pause, »aber es ist auch für die Kommissarin vorstellbar, dass es sich um denselben Täter handelt, der damals Sina verschleppt hat.«
»Nach dieser langen Zeit?«, fragte Kolle.
Max zuckte mit den Schultern. »Bei diesen Perversen ist das wohl nicht unmöglich. Auffällig ist eben, dass dieses Mädchen aus dem Heim im selben Alter ist, wie es Sina damals war … Außerdem ähnelt sie ihr sehr stark. Rotes Haar, blasse Haut, jede Menge Sommersprossen. Die Polizistin jedenfalls glaubt nicht an einen Zufall. Das war ja auch der Grund, warum sie mich sprechen wollte. Sie hat gehofft, dass ich mich nach zehn Jahren vielleicht an Dinge erinnern würde, die mir damals nicht wichtig schienen oder nach denen keiner gefragt hat. Aber ich konnte ihr leider nicht helfen.«
»Und die Polizei hat keinen Verdächtigen? Keine Spur?«
»Sagt zumindest diese Kommissarin, aber würde sie mir etwas anderes erzählen, bei meiner Vergangenheit?«
Kolle zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich nicht.«
»Ganz sicher nicht. Und deshalb brauche ich deine Hilfe.«
»Wozu? Du kannst doch gar nichts tun. Das ist Sache der Polizei.«
Max sah seinen Trainer fest an. »Ich würde diesen perversen Mistkerl liebend gern selbst fragen, was damals passiert ist, ohne die Polizei«, sagte er. »Ich nehme mir ein paar Tage frei und fahre dorthin. Vielleicht erfahre ich ja etwas. Aber dafür brauche ich deine Hilfe. Ich muss wissen, aus welchem Heim das Mädchen verschwunden ist. Außerdem
musst du vielleicht bezeugen, dass ich zu einer bestimmten Zeit im Gym war. Ich meine, nur wenn es wirklich hart auf hart kommt, verstehst du?«
Kolle sah ihn lange an.
Dann streckte er seinen Arm aus und hielt ihm die zur Faust geballte Hand hin.
»Auf in den Kampf«, sagte er.
21
Das Wasser strömte warm über ihren Körper, prasselte auf ihren Kopf und rauschte in den Ohren. Während der letzten drei Stunden Dienstzeit hatte Franziska sich nach einer Dusche gesehnt. Ihre Kleidung und ihr Haar rochen nach dem Konglomerat aus dem Wohnsilo, in dem Kühl lebte, und sie hatte sich schmutzig und verklebt gefühlt.
Sie blieb länger unter der Dusche als sonst, stand mit geschlossenen Augen still da und genoss das Gefühl der Abgeschiedenheit. Schließlich regelte sie die Temperatur herunter und ließ eine halbe Minute kühleres Wasser über ihren Kopf rinnen. Das vertrieb hoffentlich die bleierne Müdigkeit, die sie seit dem späten Nachmittag quälte. Als sie es nicht mehr aushalten konnte, stellte sie das Wasser ganz ab, quetschte sich aus der engen Kabine und wickelte erst ihr langes Haar und dann den Körper in Handtücher.
Im Vergleich zum aufgeheizten Bad war es im Wohnzimmer kalt, aber das störte sie sich. Schon immer hatte sie Kälte mehr gemocht als Wärme. Vielleicht waren alle blasshäutigen, rothaarigen Menschen so gestrickt, denn Sonne war so gut wie tabu für sie.
Sie warf einen Blick zur Uhr. Neun vorbei. Sollte sie noch bei ihren Eltern anrufen? Wobei sich seit Sonntag natürlich nichts geändert hatte, und vielleicht nervte es ihren Vater ja auch, wenn sie entgegen ihrer Gewohnheiten jeden Tag anrief. Er wollte bestimmt nicht dauernd auf die Krankheit hingewiesen werden.
»Auf den Krebs«, verbesserte Franziska sich leise. »Krebs!«
Das Wort kam ihr nur schwer über die Lippen. Sobald sie es aussprach, hatte sie das Gefühl, er nage auch schon in ihren Eingeweiden. Sie würde sich testen lassen müssen. Bald! Nur nicht zu lange aufschieben. Möglich, dass so etwas vererblich war. Ihr Vater hatte in der Richtung nichts verlauten lassen, aber man konnte ja nie wissen.
Plötzlich fühlte Franziska sich kraftlos und überfordert. Die bleierne Müdigkeit war noch da, die Dusche wirkungslos daran abgeprallt. Sie holte sich ein kaltes Bier aus dem Kühlschrank und ließ sich damit auf die Couch fallen.
Ihre Gedanken schweiften zu dem Boxer ab.
Max Ungemach!
Sein Schicksal ließ sie einfach nicht los.
Schon früh in seiner Jugend war er tief verletzt worden und hatte sich nie wirklich davon erholt. Muskeln und Erfolg klebten wie Pflaster auf diesen Wunden, und wer nicht wusste, wonach er suchen musste, der würde sie nicht sehen. Franziska meinte, sie gesehen zu haben - in seinen Augen. Deren Ausdruck war während des erstaunlich offenen Gespräches alles andere als sicher und
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