Blinder Instinkt - Psychothriller
dich doch. Ich hab euch noch alle gekriegt.«
Diese Stimme und die bedrückende Atmosphäre der Umgebung ließen Franziska frösteln. Sie tastete nach der Waffe unter ihrer Jacke, dann betrat sie den Gang.
Dort roch es noch intensiver nach Fisch. Rechts war eine große Kühlkammer eingebaut, der Motor brummte vor sich hin. Neben der Kühlkammer lagen in einem offenen Bereich Netze und Leinen. Zwei große blaue Tonnen und unzählige Eimer standen herum. Franziska hörte ein Plätschern. Sie ging langsam weiter. Hinter einem weiteren Durchgang entdeckte sie einige gemauerte, hüfthohe Becken. Sie sah hinein. Die Becken waren mit wasserdichter Farbe gestrichen und zur Hälfte mit Wasser gefüllt. Die nackten Glühbirnen darüber reichten aus, um das Gewimmel in dem sauberen Wasser sehen zu können. Aale unterschiedlicher Größe wanden sich darin.
Plötzlich eine Bewegung.
Franziskas Hand ging zur Waffe.
Ein kleiner, dicker Mann tauchte zwischen den Becken auf. In seinen Händen hielt er einen Aal und ließ ihn über die Mauer ins Wasser gleiten. Er bemerkte sie.
»Können Sie nicht abwarten«, fuhr er sie barsch an. »Ich komme gleich nach vorn. Hier hinten haben Sie nichts zu suchen!«
Er kam zwischen den Becken hervor und betrat den Gang.
Rolf Wilkens war keine eins siebzig groß und hatte eine Glatze. Eine Plastikschürze überspannte seinen mächtigen
Bierbauch. Seine Hände steckten in roten Gummihandschuhen, die bis zu den Ellenbogen reichten. Er füllte den Gang aus, schien vor Kraft kaum laufen zu können.
»Herr Wilkens?«, fragte Franziska.
Ohne dass sie sich als Kriminalbeamtin vorstellte, ging eine Veränderung mit Wilkens vor sich. Sein Körper versteifte sich, er nahm die Schultern zurück, das Kinn nach vorn, ballte die Hände zu Fäusten. Seine kleinen Augen funkelten sie an.
»Was wollen Sie?«, fragte er mit leiser Stimme.
26
Geräusche!
Sie hörte Geräusche!
Sofort setzte Sarah sich aufrecht hin und lauschte.
Seit Stunden war es absolut still gewesen. Eine solche Stille hatte sie nie zuvor in ihrem Leben kennengelernt. Es hatte immer irgendwelche Geräusche gegeben. Wind, der ums Haus und durch die Bäume strich. Husten oder Lachen der anderen Kinder. Irgendein Klappern. Türenschlagen. Die Toilettenspülung, die sie nachts in ihrem Zimmer hören konnte. In diesem Raum aber war es, wie es in einem Grab sein musste. Frau Hagedorn hatte ihnen in der Märchenstunde einmal eine Gruselgeschichte vorgelesen, in der ein Mann lebendig begraben worden war. In seiner Eichenkiste tief unter der Erde hatte der Mann auch nichts gehört, absolut nichts, und er hatte diese Stille als Atemzug des Todes empfunden. Der Tod atmet ein, hatte Frau Hagedorn vorgelesen, und verwandelt alles Sein auf Erden in nichts, so wie ein
schwarzes Loch im Weltall. Der Mann aus der Geschichte war von dort entkommen, weil er begonnen hatte, mit den Wühlmäusen und Maulwürfen zu sprechen. Er hatte sich mit ihnen verbündet, und sie hatten ihn ausgegraben.
Sarah wusste nicht, warum ihr diese Geschichte, von der sie damals ein wenig Angst bekommen hatte (schöne Angst, solche mit feiner Gänsehaut auf den Armen), gerade jetzt wieder einfiel, zum schlechtesten Zeitpunkt überhaupt. Sie hätte gern darauf verzichtet, doch ihre Erinnerung gönnte sich den Spaß.
Da!
Sie zuckte zusammen!
Erneut ein lautes Schlagen, so als würde irgendwo eine Tür zugeworfen. Sie konnte sogar die Erschütterung spüren, die sich durch das Mauerwerk bis zu ihr fortpflanzte. Sie öffnete sich für das Geräusch, ließ es in sich selbst verhallen und untersuchte dabei die Einzelheiten.
Waren Stimmen darin? Von anderen Kindern? Vielleicht hatte er noch andere entführt und hierher gebracht? Und vielleicht versuchten diese anderen Kinder, Kontakt zu ihr aufzunehmen! Die vermeintlich zugefallene Tür könnte jemand sein, der mit einem harten Gegenstand gegen eine Mauer geschlagen hatte!
Dieser Gedanke brandete wie eine gewaltige Welle durch Sarahs Körper und hinterließ ein euphorisches Glücksgefühl. Plötzlich waren Kraft und Energie wieder da und der Glaube, dass alles gut werden würde.
»Ich bin hier!«, wollte sie aus Leibeskräften rufen, doch nachdem sie so lange geschwiegen hatte, war ihre Stimme nur ein kaum hörbares, jämmerliches Krächzen.
Sie räusperte sich und versuchte es gleich noch mal.
»Ich bin hier! Hört ihr mich? Ich bin hier drinnen!«
Das war schon besser. Viel kräftiger und lauter. Trotzdem hatte sie den
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