Blinder Instinkt - Psychothriller
Eindruck, dass ihre Stimme den Raum gar nicht verließ. Es gab auch kein Nachhallen, wie sonst immer, wenn man in geschlossenen Räumen schrie. Hier drinnen wurden ihre Schreie einfach von den Wänden gefressen.
Es ist das Nichts, deine Schreie verschwinden im Nichts.
Quatsch, schalt sie sich in Gedanken, sei kein Dummkopf .
Es lag bestimmt nur an den besonders dicken Wänden, die waren in Gefängnissen schließlich üblich. Deswegen auch die Klopfgeräusche! Na klar! Die anderen Kinder hatten längst erkannt, dass sie nicht durch Schreie auf sich aufmerksam machen konnten, deshalb hatten sie begonnen zu klopfen.
In einer hektischen Bewegung rutschte Sarah vom Bett hinunter auf den Fußboden, stieß sich dabei den unteren Rücken, achtete aber nicht darauf.
Geräusche, sie musste laute Geräusche machen!
Sie tastete den Boden vor sich ab. Die Tasse! Wo befand sich die Tasse? Er hatte ihr eine Tasse voll mit Milch ins Zimmer gebracht und darauf bestanden, dass sie die trank.
Du musst viel Milch trinken, hörst du, viel Milch, sonst stirbst du , hatte er einige Male zu ihr gesagt.
Wo war nur diese blöde Tasse!
So weit weg konnte sie doch gar nicht …
Da war sie!
Sarah ergriff den Henkel, umklammerte ihn fest, erhob sich, streckte die linke Hand vor sich und tastete sich durch den Raum. Irgendwo musste die Tür sein. Wenn ihre Erinnerung sie nicht betrog, hatte es metallen geklungen, als er sie abgeschlossen hatte. Wenn sie nur fest genug mit der Tasse dagegen schlug, mussten die anderen Kinder sie doch hören!
Sie erreichte eine Wand, tastete sich daran entlang. Die Wand war kühl und ein bisschen rau, aber nicht tapeziert. Wo befand sich die Tür? Sie war vom Bett aus gerade durch den Raum gegangen, genau dorthin, wo sie die Tür vermutete. Obwohl … Nein, so ein Mist! Auf der Suche nach der Tasse hatte sie sich gedreht und damit ihren Orientierungssinn durcheinandergebracht. Die Tür könnte in jeder Richtung sein!
»Wartet, wartet, ich hab’s gleich«, sagte sie leise zu sich selbst. Sie spürte bereits wieder Tränen hinter ihren Augen aufsteigen, wollte aber nicht weinen.
Als sie eine Zimmerecke erreichte, blieb sie stehen, um zu lauschen. Klopften die anderen Kinder noch? Oder hatten sie es schon wieder aufgegeben, weil sie keine Antwort bekamen? Sarahs Ohren durchkämmten die Stille, fanden jedoch nichts.
»Nein, bitte nicht!«, rief sie, die Tränen niederkämpfend.
Sie hatte keine Zeit mehr, nach der Tür zu suchen, sie musste es gleich hier versuchen, an der Wand!
Zuerst schlug sie nur leicht mit dem dicken Boden der Keramiktasse gegen die Wand, weil sie befürchtete, dass sie zerspringen würde. Doch das Geräusch war genauso jämmerlich wie vorhin ihr Krächzen. Also schlug sie heftiger und nahm dabei einen bestimmten Rhythmus ein.
Tock, tock … tock, tock … tock.
Und noch einmal.
Tock, tock … tock, tock … tock.
Jetzt innehalten und horchen.
Gab es eine Antwort? Hörten die anderen Kinder sie bereits? Oder war es zu leise?
Sarah horchte eine Minute lang, und sie musste sich dabei
zusammenreißen, weil ihr diese eine Minute so unendlich lang erschien. Sie dehnte sich und dehnte sich, und kein einziges Geräusch schlich sich hinein. Als sie schon meinte, sich vorhin doch getäuscht zu haben, erschütterte erneut irgendwas die Wände.
»Hier, ich bin hier!«, schrie Sarah und knallte die Tasse mit Wucht gegen die Wand.
Diesmal zersprang sie.
Sarah quiekte erschrocken, als der Scherbenregen auf sie niederging. Sie ließ den Griff, den sie immer noch festhielt, los und schlug nun mit den flachen Händen gegen die Wand. Das tat weh und machte kaum Geräusche. Es klatschte nur. Ein jämmerliches Klatschen, das niemals jemand anderer hören würde. Trotzdem machte Sarah weiter, schlug immer wieder gegen die Wand, ignorierte dabei die heftiger werdenden Schmerzen in ihren Händen, begann wieder zu schreien, gleichzeitig flossen die Tränen, obwohl sie sich doch vorgenommen hatte, nicht mehr zu weinen.
»Ich bin hier drinnen, hier, ich bin hier! Hört mich denn niemand?«
27
Eine zweispurige Straße in einem Gewerbegebiet am Rande der Stadt. Auf der rechten Seite zogen sich die langen Hallen eines Maschinenbaubetriebes dahin. Links fuhr Max an einem Autohändler, einem Abschleppunternehmen und der städtischen Kläranlage vorbei, bevor das Grundstück des Fuhrunternehmens Meyerboldt auftauchte. Im Gegensatz zu den anderen Betrieben an der Straße war es ein kleines
Grundstück,
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