Blinder Instinkt - Psychothriller
Kneipe blendete selbst das graue Tageslicht. Franziska blieb stehen, blinzelte und schüttelte den Kopf. Sie verstand nicht, wie man sein Leben so verschwenden konnte. Es war Vormittag, trotzdem saßen da drinnen fünf ältere Männer mit einem Bier vor sich. Ihrem glasigen Blick nach zu urteilen war es weder das erste nach das letzte. Die Einraumkneipe war trotz des Rauchverbots verqualmt, und Franziska wusste nicht, ob die unwiderstehliche Mischung aus Nikotin, Schweiß und Bier besser war als der Fischgeruch in Wilkens’ Laden. Auf jeden Fall hatten sich beide Gerüche in ihrem Haar und der Kleidung festgesetzt. Der Tag war noch nicht einmal zur Hälfte um, und sie sehnte sich bereits wieder nach einer Dusche.
Im Wesentlichen hatte der Wirt, ein Mann namens Alfred Birchler, Wilkens’Aussage bestätigt, wenngleich auch die Zeiten
abweichend waren. Nach Birchlers Erinnerung - er hatte zugegeben, auch nicht mehr nüchtern gewesen zu sein - hatte Wilkens das Lokal bereits gegen einundzwanzig Uhr verlassen.
Mehr als genug Zeit, um zum Stift zu fahren und die kleine Sarah zu entführen, dachte Franziska. Sie traute Wilkens nicht über den Weg. Der Mann hatte etwas Verschlagenes an sich.
»Und jetzt?«, fragte Paul Adamek. »Willst du Wilkens auch überwachen lassen?«
»Was meinst du denn?«, sagte Franziska in gereiztem Ton. Sie war genervt, hatte sich von der Spur viel mehr erhofft und ärgerte sich über Paul, der Wilkens scheinbar nicht als besonders verdächtig einschätzte. Außerdem schien er nicht richtig bei der Sache zu sein, lief nur hinter ihr her, ohne selbst die Initiative zu übernehmen. Das kannte sie nicht von Paul. Seine Zuverlässigkeit und Souveränität waren immer wichtig für sie gewesen. War er wirklich nur wegen seiner kleinen Tochter so neben der Spur?
»Was ist los mit dir?«, fragte Paul.
Franziska sah ihn an. Die Frage hätte sie gern zurückgegeben, schluckte sie aber hinunter. Vielleicht lag es ja auch an ihr. Immerhin stand sie, genau wie Paul, unter einer Doppelbelastung. Also atmete sie tief durch und versuchte sich zu beruhigen.
»Welchen Eindruck hat er auf dich gemacht?«, fragte sie schließlich.
»Wenn ich ehrlich sein soll: Keinen verdächtigen. Klar, er ist ein echter Stinkstiefel, aber so ein Ding traue ich ihm nicht zu. Besoffen schon gar nicht.«
»Der Wirt sagte doch, dass Wilkens samstags sonst länger
bleibt, meist bis Mitternacht«, wandte Franziska ein. »Dieser Kneipenbesuch mit dem frühen Aufbruch könnte doch ein zurechtgelegtes Alibi sein.«
»Könnte, ja. Aber stell dir mal diesen Aufwand vor. Der Mann steht um zwei Uhr nachts auf und geht fischen. Danach räuchert er seinen Fang, passt auf den Laden auf und verteilt auch noch seine Ware. Abends geht er für ein paar Stunden in die Kneipe und säuft - ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie der nach so einem Pensum noch ein Mädchen aus einem Heim entführt haben soll.«
»Und seine Weigerung, einen Genabgleich durchführen zu lassen?«
»Ach komm! Wie oft hatten wir das schon? Die Leute weigern sich einfach, weil sie es cool finden, sich mit dem Staat anzulegen, und genau wissen, dass sie uns damit richtig ärgern können. Wilkens ist auch nicht der Typ Mensch, der gern kooperiert. Nein, ich weiß nicht! Da erscheint mir dieser Detlef Kühl schon…«
Franziskas Handy klingelte.
»Ziller«, sagte sie nach einem Blick aufs Display, nahm das Gespräch entgegen und wandte sich ab.
Danach starrte sie Paul perplex an. »Scheiße! Der Boxer«, stammelte sie.
»Der Boxer? Was für ein Boxer?«
»Max Ungemach … Ich hab dir doch von ihm erzählt.«
»Ja und?«
»Ziller ist während der Observierung ein BMW X5 mit Hamburger Kennzeichen aufgefallen. Sie haben Kühl kurz verloren, und als sie bei seiner Wohnung ankommen, steht der X5 auch dort, scheinbar in Eile geparkt.«
»Warte«, sagte Paul und sah sie aus großen Augen an.
»Der X5 gehört dem Boxer, dessen Schwester vor zehn Jahren verschwunden ist?«
Franziska nickte. »Ich hab ihn damit an der Raststätte ankommen sehen, als ich dort im Auto saß und wartete. Ist ja kein unauffälliger Wagen. Irgendwie muss er rausbekommen haben, dass wir Kühl verdächtigen.«
»Das ist übel!«, sagte Paul.
»Genau. Der Mann ist im Stande und bringt Kühl um. Los, komm mit!«
Sie liefen zu ihren Autos zurück, die immer noch zwischen den Glascontainern parkten.
33
Fred Kindler klappte das Handy zu und sah es verdutzt an.
»Was is?«, fragte sein
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