Blinder Instinkt - Psychothriller
Augen weit aufgerissen, von der Arroganz und Wut war nichts mehr geblieben. Angst hatte alles andere abgelöst. Scheinbar hatte er begriffen, dass ihm Gefahr drohte. Allerdings zu spät.
»Sina«, sagte Max und machte einen Schritt auf den Mann zu. Dabei wäre er fast zurückgezuckt. Plötzlich spürte er überdeutlich ihre Hand auf seiner Schulter, aber statt sich wie sonst immer an ihm festzuhalten, damit er die Führung übernehmen konnte, schien seine Schwester ihn nach hinten ziehen zu wollen, weg von dem Kerl. Es war das erste Mal überhaupt, dass Sina die Führung übernehmen wollte.
Das irritierte Max, aber er hatte keine Zeit, darüber nachzudenken.
»Hä!«, machte Kühl. Seine Stimme klang jetzt wie die eines zänkischen Weibes.
»Meine Schwester hieß Sina. Kannst du dich noch erinnern? Vor zehn Jahren.«
»Mann, ich kenne deine verdammte Schw…«
Max’ Faust landete im Bauch des Mannes, tauchte tief in die Fettschicht ein, ließ den Mann zusammenklappen und rückwärts durch den Türrahmen ins Wohnzimmer taumeln, wo er nahe dem Tisch zu Boden ging. Er presste seine Arme in die Leibesmitte und rang mühsam nach Atem.
Max wusste genau, wie es Kühl jetzt ging. Ohne trainierte Bauchmuskulatur und ohne darauf vorbereitet zu sein, war ein kräftiger Schlag in den Magen wirklich schlimm. Alles verkrampfte sich, die Genitalien zogen sich in den Körper zurück, die Atmung funktionierte nicht mehr. Man glaubte, sterben zu müssen.
Ohne Mitleid zu empfinden, sah Max auf den geschlagenen Gegner zu seinen Füßen. Max’ Herz schlug wie wild, sämtliche Muskeln waren angespannt, er fühlte sich wie in den ersten Sekunden eines Kampfes, hob sogar die Arme ein wenig an und ging automatisch in die Grundstellung. Er wollte jetzt kämpfen, wollte diesen Perversen zu Brei schlagen. Niemals wieder sollte er Kinder anfassen können. Er sollte büßen für das, was er Sina, was er ihm angetan hatte. Nur dafür hatte er all die Jahre trainiert, hatte sich geschunden und gequält und sich den Schlägen seiner Gegner ausgesetzt. Nur um jetzt hier zu stehen, als der Stärkere, als der Rächer.
Und es kotzte ihn an, dass dieser Mann so eine armselige Kreatur war, die ihm nichts entgegenzusetzen hatte.
»Steh auf!«, knurrte Max.
Kühl röchelte nur. Blut tropfte auf den Teppich.
»Steh auf!«, brüllte Max jetzt.
Er wollte den Mann nicht treten, so führte ein Boxer keinen Kampf. Wer am Boden lag, wurde nicht weiter angegriffen, auch ein so mieses Schwein wie dieses nicht. Obwohl es Max in den Beinen zuckte, obwohl sein Gehirn den Befehl dazu schon erteilt hatte, kämpfte er dagegen an und tat es nicht. Aber nicht nur aus seinem Ehrgefühl heraus.
Sina zog immer noch an seiner Schulter.
Warum ließ sie es ihn nicht endlich zu Ende bringen?
Kühl kämpfte sich langsam auf die Knie. Mit Hilfe des Tisches kam er schließlich ganz auf die Beine, musste sich aber abstützen. Er stand da wie ein alter Mann, als hätten seine Knochen jeglichen Zusammenhalt verloren. Seine Augen schienen ein Stück aus den Höhlen gequollen zu sein.
»Was … was … ich …«, stammelte er. Speichel troff von seinen Lippen.
Max schlug ihm ansatzlos ins Gesicht. Nicht so hart, wie er es hätte tun können, aber immer noch hart genug.
Ohne ein Geräusch von sich zu geben, flog Kühl nach hinten über den niedrigen Couchtisch und landete rücklings auf der Couch, wo er wie ein hilfloser Mistkäfer liegenblieb.
Max setzte ihm nach, packte ihn am Shirt, doch das zerriss sofort, also packte er ihn am Hals, zog ihn nach vorn und schleuderte den Wehrlosen quer durch den Raum. Er riss eine Glasvitrine um, in der Modellautos ausgestellt waren. Sie kippte gegen die Wand, das Glas zersplitterte. Kühl selbst ging zu Boden und blieb auf der Seite liegen.
Max beugte sich über ihn.
In ihm kochte die Wut heiß und verzehrend. Die Randbereiche
seiner Augen waren ausgefüllt von glühend roter Farbe. Sein Magen war ein einziger schmerzender Klumpen, seine Schultern zitterten. Kurz sah er Sina in dem flachen Wasser am Flussstrand, sah ihr rotes Haar ins Wasser tauchen und dabei lächeln. Dann verschwand dieses Bild, und irgendwie wurde alles rot, alles explodierte in einer Welt aus Hass, Lärm und Schmerz.
Er war bereit zu töten.
Aber warum um alles in der Welt riss Sina so heftig an seiner Schulter?
32
Franziska und Paul traten nacheinander aus dem Scharfen Eck auf den Bürgersteig. Nach dem schummrigen Licht in der heruntergekommenen
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