Blinder Instinkt - Psychothriller
der Garage. Er rollte in seinem Passat, den seine Eltern nicht kannten, langsam am Grundstück vorbei und sah durch die Heckscheibe den Kopf seines Vaters über den Beifahrersitz hinausragen. Die grüne Nebeneingangstür zur Auffahrt stand ebenso offen wie das elektrische Garagentor. Mutter war nicht zu sehen. Wahrscheinlich befand sie sich noch im Haus, war noch einmal zur Toilette gegangen - seit ein paar Jahren war sie inkontinent und musste andauernd auf den Topf.
So hart das Schicksal in den letzten Tagen mit ihm umgesprungen war, so sehr verwöhnte es ihn heute. Sein Zufallsfang, die rothaarige Polizistin, war geradezu ein Kinderspiel gewesen, und nun kam er just zu dem Zeitpunkt hier an, da seine Eltern sich im Aufbruch befanden. Er konnte sich denken, wohin Mutter wollte. Den ganzen Aufwand, Vater anzuziehen und in den Wagen zu verfrachten, nahm sie gern auf sich, wenn es darum ging, ihn zu kontrollieren, zu gängeln, ihm das Leben schwer zu machen. Er hatte es gewagt, nicht ans Telefon zu gehen, hatte dieser fetten Frau nicht geöffnet, die Mutter mit Sicherheit wegen der Stelle als Aushilfe geschickt hatte, und die fraglos sofort bei ihr angerufen und sich beschwert hatte, weil der Laden geschlossen war.
Mutters Spione steckten überall! Er würde niemals sein eigenes Leben leben können, wenn er nicht reinen Tisch machte und die Karten neu mischte.
Heute, nicht irgendwann!
Er parkte neben dem Eingang zum Friedhof. Von dort waren es nur ein paar Schritte zu dem Bungalow, den seine Eltern nach der Ladenübergabe an ihren Sohn gebaut hatten. Schon damals behindertengerecht, als ob Mutter geahnt hätte, wie es mit Vater enden würde. Ein großer Teil der Rücklagen des Ladens war draufgegangen für dieses schmucke kleine Haus, so dass er eine Hypothek auf den Laden hatte aufnehmen müssen, um seiner Leidenschaft nachgehen zu können. Kein Cent von diesem Kredit war in den Laden geflossen. Er hatte damals nicht geahnt, wie sich das aufs Geschäft auswirken würde und dass es sich eines Tages rächen würde. Seit einem Monat saß ihm die Bank im Nacken. Dieser junge Schnösel hatte sogar verlangt, er solle das Erbe seines Onkels verkaufen.
Der wusste ja gar nicht, was er da sagte!
Auf dem kurzen Weg zur Hofeinfahrt vergewisserte er sich, dass ihn niemand beobachtete. Viel los war hier in der Nähe des Friedhofs am Vormittag nicht, und im richtigen Moment, als kein Wagen vorbeifuhr und er keinen Passanten entdeckte, bog er in die Zufahrt zur Garage ein. Zielstrebig ging er zur Fahrertür des Mercedes, ließ sich auf den Sitz fallen und fasste zuerst ans Zündschloss. Wie er es sich gedacht hatte, steckte der Schlüssel.
Er zog die Tür zu und startete den Motor.
»Hallo, Vater«, sagte er und warf einen Blick zur Seite.
Sein alter Herr machte nicht den Eindruck, als bekäme er etwas mit. Stocksteif, den Blick nach vorn in seine eigene
Welt gerichtet, saß er auf dem Beifahrersitz. Speichel troff von seinen Lippen, er stank nach Urin.
Eduard Sauter fuhr den Wagen wieder in die Garage zurück. Zur Sicherheit, obwohl es ja nicht nötig war, stellte er den Wagen so dicht an der Wand ab, dass sich die Beifahrertür nicht öffnen lassen würde. Dann kurbelte er die Fenster herunter, stieg aus, ließ den Motor aber laufen. Drinnen drückte er auf einen roten Knopf, verließ die Garage und sah dabei zu, wie das elektrische Tor den engen, fensterlosen Raum in eine tödliche Falle verwandelte. Dann wandte er sich der offen stehenden Nebentür zu. Bevor er das Haus betrat, sah er noch einmal zur Straße.
Niemand da.
Er ging hinein und zog die Tür hinter sich zu.
Der Nebeneingang führte auf den Flur, in dem es wie immer düster und kühl war. Ihn überkam sofort das Gefühl, eine Gruft zu betreten. Er schlich hinein und warf einen Blick in die Küche. Die Handtasche seiner Mutter stand auf dem Küchentisch, ihr Schlüsselbund mit dem Hausschlüssel lag daneben. Hier und heute würde ihre Macke, den Autoschlüssel getrennt von den anderen Schlüsseln zu halten, damit beim Aufschließen des Wagens keine Kratzer am Lack entstehen konnten, seiner Mutter zum Verhängnis werden.
Er lauschte. Es war still im Haus. Ein weiteres Indiz dafür, dass sie auf der Toilette saß. Eben hatte er sich noch vorgestellt, sie im Bad zu überraschen, aber die Variante, die ihm jetzt vorschwebte, hatte einen viel größeren Reiz.
Sie war geradezu perfekt.
Er legte den Schlüssel in die große Handtasche zurück und vergrub ihn
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