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Blinder Instinkt - Psychothriller

Titel: Blinder Instinkt - Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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unter all den Utensilien, die sich darin befanden - und es waren viele. Dann griff er in die Innentasche
seiner Jacke und holte die schmale Metallschachtel hervor. Das Innere der Schachtel ließ sich aus der Hülle herausschieben. Gegen unbeabsichtigtes Öffnen war sie mit einem stabilen Gummiband gesichert. Er wickelte das Gummiband ab, hielt die Schachtel über die geöffnete Handtasche und schob sie mit dem Daumen vorsichtig auf. Ein Spalt von drei Zentimetern reichte, denn die wesentlich aggressiveren Männchen wurden nur bis zu zweieinhalb Zentimeter groß.
    Kaum war der Spalt geöffnet, schoben sich die schwarzen Beinchen auch schon daraus hervor. Atrax robustus hatte wirklich vor nichts Angst, schon gar nicht, wenn man ihn geärgert hatte, und ein Transport in dieser Metallschachtel war bestimmt ein Ärgernis. Zwei männliche Exemplare hatte er von den übrigen unten im Verlies separiert. Diese schüttete er jetzt in die Handtasche seiner Mutter. Nachdem sie hineingefallen waren, zog er vorsichtig, mit spitzen Fingern, den Reißverschluss zu.
    Die Küche besaß eine kleine Abstellkammer. Darin bewahrte seine Mutter Vorräte, Putzmittel und andere Dinge auf. Er betrat diese Kammer, die nicht mehr war als ein mit Regalen gefülltes Quadrat. Wenn er den übergroßen Vorratsbeutel mit Inkontinenzwindeln unter das unterste Regal schob, passt er geradeso hinein. Er zog die Tür nur so weit zu, dass ein winziger Spalt offen blieb, durch den er den Küchentisch mit der Handtasche im Auge behalten konnte.
    Drei, höchstens vier Minuten musste er warten, dann hörte er die Toilettenspülung. Kurz darauf erschien seine Mutter in der Küche. Sie trug einen grauen, knielangen Rock zu den üblichen schwarzen, plumpen Schuhen und eine violette Bluse mit farblich passendem Halstuch. Natürlich war sie schick gekleidet. Sie verließ das Haus nie, wenn sie sich
nicht zurechtgemacht hatte. Sie war eben eine Dame der gehobenen Gesellschaft.
    Sie ging auf den Küchentisch zu.
    Aber was war das?
    In der rechten Hand hielt sie ein weißes Taschentuch, das sie an ihre Augen führte. Vorsichtig, um die Schminke nicht zu verreiben, tupfte sie ihre Tränen ab, bevor sie in das Taschentuch schnäuzte.
    Sie hatte geweint.
    Seine Mutter hatte geweint! Er hatte seine Mutter eine Ewigkeit nicht mehr weinen gesehen, konnte sich nicht einmal erinnern, zu welcher Gelegenheit es zuletzt passiert war. Er war davon ausgegangen, dass sie überhaupt nicht weinen konnte, egal wie hart das Schicksal auch zuschlug. Nach außen hin gab sie sich immer so stark, so hart und unnachgiebig. Nie hatte irgendjemand daran gezweifelt, dass sie mit der Situation ihres Mannes nicht fertig werden würde. Sie war doch mit jeder Unbill des Lebens fertig geworden.
    Ein Ruck ging durch ihren kleinen, schmalen Körper. Sie griff zur Handtasche, hielt im letzten Moment aber inne.
    Eduard hielt den Atem an. Plötzlich wurde ihm heiß. Schweiß brach ihm aus allen Poren. Ihm fiel ein, dass sie den Schlüssel ja auch draußen in der Tür vermuten könnte. Würde sie nachschauen gehen? Dann wäre sein schöner Plan zum Teufel.
    O nein! Sie wandte sich vom Tisch ab und verließ die Küche.
    Was konnte er tun? Was konnte er jetzt noch tun? Eduard sah seine Felle davonschwimmen. Er hatte einen Fehler gemacht und würde dafür bezahlen. Warum hatte er seine
kleinen Lieblinge nicht zu ihr ins Bad gebracht? Dann wäre schon alles vorbei.
    Plötzlich kam sie in die Küche zurück.
    Fast hätte er vor Schreck laut gejapst, presste sich im letzten Moment aber noch die Hand vor den Mund.
    Sie packte ihre Handtasche, zog den Reißverschluss auf und steckte ihre Hand energisch hinein. Mit nach vorn gerichtetem Blick wühlte sie in der Tasche herum. Fast meinte er, durch das schwarze Leder hindurch ihre Finger sehen zu können, wie sie fummelten und tasteten, wie sie atrax robustus immer wütender machten, so dass sie sich auf ihre Hinterbeine stellten und ihre großen Fänge nach vorn streckten.
    Plötzlich zuckte Mutter, schrie auf und taumelte nach hinten.
    Sie hielt ihre Hand hoch und starrte sie an. Durch den schmalen Spalt hindurch konnte er alles mit ansehen. Für atrax robustus war es üblich, bei einem Angriff das Opfer festzuhalten und mehrmals hintereinander zuzubeißen, um möglichst viel Gift zu injizieren. Folglich hing die schwarze kleine Spinne immer noch in dem weichen Gewebe zwischen Daumen und Zeigefinger und schlug die großen Fänge ein ums andere Mal ins Fleisch.

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