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Blinder Instinkt - Psychothriller

Titel: Blinder Instinkt - Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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Die Trichternetzspinne, wie sie auch genannt wurde, besaß genauso starke Fänge wie eine Schlange, und ihr Biss war äußerst schmerzhaft, da der pH-Wert des Giftes niedrig war.
    Es dauerte zwei Sekunden, ehe seine Mutter realisierte, was ihr gerade geschah. Plötzlich begann sie gellend zu schreien. Das lag sicher nicht an dem Schmerz, sondern an dem Tier, das sich in ihrer Hand festgebissen hatte. Trotzdem behielt sie einen klaren Kopf, lief zur Spüle hinüber, drehte
den Wasserhahn ganz auf und spülte mit dem kalten Wasser die Spinne ab. Durch seinen Beobachtungsspalt hindurch sah er, wie sie von der Spüle wegtaumelte. Dabei stöhnte sie laut und hielt ihr Handgelenk umklammert. Ihr Gesicht war eine Maske des Entsetzens.
    Sie taumelte nach links weg, versuchte sich am Rand der Arbeitsplatte festzuhalten, schaffte es aber nicht und stolperte nach hinten gegen einen der Küchenstühle, der laut scheppernd umfiel.
    Da er wusste, wie das Gift auf die Nerven und damit auf die Muskeln wirkte, konnte er sich vorstellen, wie seine Mutter sich gerade fühlte - nämlich so, als habe sie plötzlich keine Muskeln mehr.
    Ihre Beine gaben nach, sie sackte vor der Küchenzeile auf dem gefliesten Boden zusammen. Ihr Rock rutschte hoch. Er sah ihre Strümpfe und die große, weiße Baumwollunterhose. Irgendwie brachte sie noch die Kraft auf, mit der linken Hand ihre rechte zu umfassen und sie vor ihre Augen zu führen. Nein, nicht vor die Augen, zum Mund! Jetzt begriff er, was sie vorhatte. Noch im Sterben handelte sie überlegt und klug. Sie wollte die Bisswunde aussaugen, schaffte es aber nicht mehr - es hätte ohnehin nicht funktioniert. Beide Arme rutschten kraftlos an ihrem Körper hinab und blieben auf dem Küchenboden liegen.
    Sie stöhnte und jammerte.
    Das war der Moment, in dem er sein Versteck verließ. Er ging um den Tisch herum, nahm ein Geschirrtuch vom Haken an der Tür und warf es über die in der glatten Spüle nach einem Fluchtweg suchenden Spinne. Zusammen mit dem Tuch stopfte er das Tier in die Handtasche zurück und schloss den Reißverschluss. Dann erst positionierte er sich
so, dass seine Mutter ihn sehen konnte. Und das Gift ließ es sogar zu, dass sie ihn wirklich sah.
    Ihn sah, wie er wirklich war.
    Er erkannte es in ihren Augen. Das Verstehen. Die Angst. Die bittere Enttäuschung.
    Dann hatte sich das Gift über den Blutkreislauf im ganzen Körper verteilt und entfaltete seine volle Wirkung.
    Unkontrolliert begann ihr Körper zu zucken.
    Zuerst sah es noch wie Schüttelfrost aus, wurde aber schnell immer stärker. Ihre Beine schlugen auf den Boden, sie verlor beide Schuhe, ihr Becken zuckte, ihre Arme schlugen um sich. So wirkte dieses Gift. Die Muskeln ließen sich nicht mehr kontrollieren, und irgendwann trat dann der Tod durch Ersticken ein. Das starke Nervengift der atrax robustus konnte Kinder und alte, physisch schwache Menschen binnen fünfzehn Minuten töten. Bei gesunden Erwachsenen konnte der Tod nach einer Stunde eintreten, es konnte aber auch bis zu sechs Tage dauern. Seiner Mutter allerdings würden sechs Tage unglaublicher Qual erspart bleiben. Dafür war sie zu alt und zu schwach, außerdem hatte die Spinne lange genug an ihrer Hand gehangen, um mehrmals zubeißen und ihr Gift injizieren zu können.
    Es dauerte nicht einmal zehn Minuten.
    Er wandte sich vorher ab, weil er den Todeskampf seiner Mutter nicht mit ansehen konnte. Aber er wartete so lange, bis es hinter ihm still wurde. Dann nahm er die Handtasche mit dem tödlichen Inhalt und verließ das Haus seiner Eltern so, wie er gekommen war.
    In der Garage tuckerte immer noch der Motor des alten Mercedes zuverlässig vor sich hin.
    »Tief durchatmen, Vater«, sagte er leise.

    Das Gefühl, es endlich geschafft zu haben, war einfach grandios, und er vergaß jede Vorsicht, als er im hellen Sonnenlicht die Hofeinfahrt hinunterging.

55
    Max konnte sich nicht erinnern, wo sich dieser Gasthof mit Kegelbahn befand. Nachdem er eine Weile erfolglos in Pennigsahl gesucht hatte, wendete er auf dem Parkplatz des Feuerwehrgerätehauses und durchquerte den Ort ein weiteres Mal. Zweihundert Meter vor dem Ortsschild führte linker Hand eine schmale Straße ab. Max setzte den Blinker und fuhr aufs Geratewohl dort hinein. Nachdem er vier Häuser passiert hatte, verlief die Straße zwei Kilometer schnurgerade zwischen Weiden hindurch, bevor sie an einem Trafoturm aus rotem Backstein einen scharfen Knick nach rechts machte. Im weiteren Verlauf wurde

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