Blinder Instinkt - Psychothriller
sie ebenfalls darauf. Als er fertig war, befanden sich zwanzig Säcke auf der Palette, ein Gewicht von mindestens vierhundert Kilo. Da würde sie niemals herauskommen. Und falls sie noch Gelegenheit haben sollte zu schießen, würden die Säcke auch den Schusslärm dämpfen.
Perfekt!
Zwar sah die hoch bestapelte Palette mitten im Raum etwas merkwürdig und deplatziert aus, aber wem sollte das auffallen. Es kam ja doch niemand in den Laden.
Ein wenig zittrig und erschöpft lehnte er sich gegen den Tresen.
Schade, dass er nicht mit ansehen konnte, wie seine Lieblinge da unten auf die Jagd gingen!
53
Max stand am Geländer der kleinen Brücke über dem Meerbach. Hier war der Fluss nicht mehr als knietief und das Wasser so klar, dass er bis auf den sandigen Grund sehen konnte. In der trägen Strömung trieben die langen Blätter der Wasserpflanzen wie menschliches Haar.
Max erinnerte sich an jene eine Nacht und einen Tag, die er allein draußen auf der Suche nach Sina verbracht hatte. Stundenlang war er bis zum Einbruch der Dunkelheit am Flussufer entlanggelaufen, in sich die entsetzliche Angst, sie
irgendwo im Wasser treiben zu sehen, mit dem Gesicht nach unten. Ein ums andere Mal hatte er sich von den Blättern der Wasserpflanzen täuschen lassen, hatte geglaubt, es sei Sinas langes Haar, die Zöpfe aufgelöst vom Wasser. Ein paar Mal war er sogar in den Bachlauf hinabgestiegen, um nachzusehen.
Die Pflanzen dort unten lösten auch jetzt noch ein Gefühl der Beklemmung in ihm aus.
Oder lag es daran, dass er sich schämte?
Erneut war er vor seinem Vater davongelaufen, und das als Erwachsener. Aber was ihm noch mehr zusetzte, war sein Verhalten. Letztendlich hatte er sich genauso aufgeführt wie sein Vater, ihrer beider Zorn und Stolz waren nach zehn Jahren wieder aufeinandergeprallt, Alter oder gewonnene Weisheit hatten daran überhaupt nichts geändert. Es war nicht richtig gewesen, ihn zu beschuldigen. Unter seiner unnahbaren Fassade litt er vielleicht genauso wie Max. Hatte er selbst sich die letzten zehn Jahre nicht ebenfalls hinter einer solchen Fassade versteckt?
Die Scham rührte aber auch daher, dass Max erkannte, wie ähnlich er seinem Vater im Grunde war.
Er schlug auf die oberste Strebe des Eisengeländers, so lange, bis seine Hände schmerzten. Das hohle Geräusch verlor sich in der stillen Weite. Erst danach war er in der Lage, wieder einen klaren Gedanken zu fassen.
Sein Vater hatte nichts mit Sinas Verschwinden zu tun. Die Reaktion auf den Vorwurf und der Ausdruck in seinen Augen waren für Max Beweis genug. Damals als Teenager hatte er nicht daran geglaubt, all die Jahre danach auch nicht, erst das Gespräch mit Franziska hatte diesen Verdacht in ihm aufkommen lassen, doch er war falsch. Sein Vater war zu
einer solchen Tat nicht in der Lage. Dieser Detlef Kühl nach Franziskas Meinung aber auch nicht, also wer dann?
Wilkens? Sauter?
An Jens Sauter und den Kampf damals am Flussufer erinnerte er sich gut. Das Gefühl, als Sieger dazustehen, hatte sich als eine berauschende Droge erwiesen. An das Gasthaus und den alten Sauter hingegen erinnerte Max sich nur vage. Als sich allerdings Wut und Scham allmählich legten, sprang ihn förmlich ein einzelnes Bild des gestrigen Tages an: der Moment, in dem sie beinahe mit dem Lieferwagen zusammengestoßen waren, hier in Hesterfeld.
Die Aufschrift!
Zoofachhandel Sauter und Sohn.
Plötzlich tauchte überall der Name Sauter auf, und auch Franziska hatte Interesse an der Aufschrift des Lieferwagens erkennen lassen. Und an den Anglern, die sich damals am Fluss herumtrieben.
Max betrachtete den Trampelpfad, der auch heute noch gut zu sehen war. Konnte es so einfach sein? War jemand aus der Nachbarschaft, der zufällig gerade an dem Tag, als er mit Sina dort unten gebadet hatte, seine Angel ausgeworfen hatte, für all dies verantwortlich? Einer von den Sauters? Jens schied seines Alters wegen wohl aus, aber die Sauters waren eine große Familie gewesen.
Max sah zum Wald hinüber, seine Hände krampften sich um das Brückengeländer.
Eine Bewegung irgendwo am Fluss, als er vom Fußballspielen zurückgekommen war. In Richtung des hohen Ufers, in Richtung des Schlahn, eines ausgedehnten Waldgebiets, durch das von dieser Seite keine Straße führte. Was lag jenseits davon?
Felder, Wiesen, Äcker.
Pennigsahl.
Das Gasthaus.
54
Als er das alleinstehende Haus seiner Eltern in der Liegnitzer Straße erreichte, parkte der alte Mercedes in der Einfahrt vor
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