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Blindes Grauen

Blindes Grauen

Titel: Blindes Grauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Abercrombie
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etwas Düsteres in sich trug. Ich habe einige Zeit gebraucht, aber dann konnte ich es sehen. Er konnte außergewöhnlich kalt sein, außergewöhnlich brutal. Nie zu mir, nicht ein einziges Mal. Aber anderen Leuten gegenüber? Im Geschäft? Ja, da konnte ich es sehen.«
    Sie nahm einen Bissen ihres Sandwiches, wischte sich den Mund, legte die Serviette in den Schoß. Als sie fertig gekaut hatte, fuhr sie fort. »Aber das Lustige ist, dass er selbst sich nicht so sehen wollte. Er war sehr ehrgeizig. Das gefiel mir immer an Joe. In ihm steckte ein bisschen von Jay Gatsby. Er sah sich als eine Säule der Gemeinschaft, als jemand, der jeden Sonntag in die Kirche ging, der spendete, das Obdachlosenheim unterstützte und die Armenschule, der ein blindes Waisenkind geheiratet hatte, der das Richtige tat. Das ist, was er sein wollte. « Sie holte tief Atem. »Aber so war er wohl nicht wirklich, oder?«
    »Sie klingen nicht besonders geschockt, dass er dahintersteckte«, sagte MeChelle. »Ich muss zugeben, ich finde das eigenartig.«
    Einen Augenblick lang sagte Lane nichts. »Ich nehme an«, sagte sie schließlich, »dass ich gut darin bin, meine Gefühle zurückzudrängen. Das muss man sein, um etwas durchzustehen, wie das, was ich durchgestanden habe, als Mom ermordet wurde.« Wieder eine Pause. »Ich wusste, dass etwas nicht stimmte. Aber ich konnte mich einfach nicht damit auseinandersetzen. Als sich dann herausstellte, dass Joe getan hatte, was er getan hatte … na ja, natürlich war ich schockiert. Etwa zehn Sekunden lang. Aber dann … erinnern Sie sich, was Marlon Brando in Apocalypse Now gesagt hat? ›… Als würde ich durchbohrt von einer diamantenen Kugel direkt durch die Stirn.‹ So fühlte sich das an. Wie eine diamantene Kugel direkt ins Hirn. Alles wurde klar.« Sie schnipste mit den Fingern. »Einfach so.«
    Schweigend aßen sie ihre Sandwiches.
    »Und«, fragte sie schließlich, »was glauben Sie, wer Sie in dieses Zimmer gesperrt hat? Nathan?«
    MeChelle nickte. »Haben wir Beweise? Nicht wirklich. Aber, ja, ich glaube schon. Sonst hat eigentlich niemand ein Motiv.«
    Lane stieß den Atem aus. »Ich habe befürchtet, dass Sie das sagen würden. Nathan hat große Probleme. Ich hoffe, Sie können in Rechnung stellen, mit welchen Problemen er zu kämpfen hatte. Er hatte ein schwieriges Leben.«
    »Sie müssen sehr vorsichtig sein«, warnte MeChelle. »Wir glauben, es geht nicht um Rache daran, was Joe Ihrer Mutter angetan hat. Wir glauben, es geht um das Geld.«
    Lane runzelte die Stirn. »Sie haben den Treuhänderfonds-Vertrag gelesen?«
    MeChelle nickte. »Wenn er es irgendwie hinbekommt, Sie durch einen Unfall sterben zu lassen, kriegt er das Geld.«
    Lane nickte ernsthaft. »Ja, daran habe ich auch schon gedacht.« Sie klopfte sich auf den Bauch. »Aber ich habe hier eine kleine Versicherung.«
    »Ach?«, sagte MeChelle.
    »Ich bin schwanger.«
    »Gratuliere!«, sagte MeChelle.
    »Vielen Dank«, sagte Lane. »Ich weiß nicht, wie genau Sie den Vertrag gelesen haben, aber wenn das Kind auf der Welt ist, wird der Fonds endgültig aufgelöst. Und ich kriege das Geld. Also muss ich nur noch sechs Monate am Leben bleiben.
    Dann kann Nathan mir nichts mehr anhaben.«
    MeChelle nickte.
    »Ich will nach Übersee. Ich werde mir einen Ort suchen, wo ich eine Weile untertauchen kann. Ich wollte immer schon mal ans Mittelmeer. Griechenland? Türkei? Ich weiß noch nicht. Aber, wohin auch immer ich gehe, Nathan wird mich dort nicht finden können. Und wenn das Kind auf der Welt ist, kehre ich nach Hause zurück.«
    »Klingt nach einem guten Plan«, sagte Gooch. Es war das Erste, was er sagte, seit sie zu essen begonnen hatten.
    MeChelle nickte. »Der Meinung bin ich auch. Ich wollte etwas Ähnliches vorschlagen.«
    »Ein guter Plan«, sagte Gooch und nickte. »Mmm-hmm. Ein guter, guter, guter, ausgezeichneter Plan. Darf ich mir noch ein Sandwich machen?« Er streckte den Arm aus und begann ein weiteres Sandwich auf dem Teller vor sich aufzuschichten. Als er damit fertig war, drückte er es mit der Hand zu einer flachen, matschigen Masse breit.
    Lane verzog das Gesicht, als wäre sie der Meinung, das Mittagessen könnte gut vorbei sein. Sie fuhr mit den Fingern über ihren kleinen elektronischen Braille-Organizer, als wollte sie die Uhr lesen. »Nun denn«, sagte sie, »ich wollte mich bei Ihnen für Ihre harte Arbeit bedanken. Und dass Sie die schrecklichen Dinge durchlitten haben, die Ihnen zugestoßen

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