Blindes Grauen
großen Plastikmülleimer auf Rädern vor sich her.
»Ich habe gesagt, ich kann Ihnen die Informationen nicht geben, Officer. Falls Mr Fergus jemals als Jugendlicher wegen irgendetwas angeklagt oder verurteilt wurde – und ich sage falls –, und falls diese Akten vernichtet wurden, dann hätten wir diese Unterlagen ebenfalls entsorgt.«
Der Alte mit der Mülltonne veränderte seinen Weg. Er machte einen eleganten Bogen um sie herum. Erst als der alte Mann fast auf einer Höhe mit ihnen war, konnten sie im Dämmerlicht seine leeren, weißen Augen sehen. Die Räder kamen bis auf zwanzig Zentimeter an Gooch’ linken Fuß heran, berührten ihn aber nicht.
»Ich habe mich ausführlich mit Gesetzen beschäftigt, Doctor«, sagte Gooch. »Arbeitsbedingt, könnte man sagen. Und wissen Sie was? Sie haben weder einen moralischen noch einen juristischen Grund, Beweise für begangene Verbrechen zu verbergen. Weder als Ärztin. Noch als Erzieherin. Wenn Damon Fergus irgendetwas angestellt hat, müssen Sie es uns sagen.«
Die Direktorin zog eine Augenbraue ein wenig hoch. Sagte aber nichts.
»Wie lange arbeiten Sie hier schon, Doktor?«, fragte Gooch.
»Dreißig Jahre.«
»Also wissen Sie die Antwort auf unsere Frage, nicht wahr? Sie wissen etwas über Fergus.«
Sie lächelte, zwinkerte, schaute Gooch weiter an, als wäre er ein unterernährtes Kind in Afrika.
»Missfällt Ihnen irgendetwas an mir?«, fragte Gooch. »Irgendein Klischee über Dorfbullen? Ich versuche nur, einer unschuldigen Frau das Leben zu retten.«
»Ich kann Ihnen nicht helfen.«
»Was zur Hölle stimmt nicht mit Ihnen?«
Ihre Stimme wurde sanfter und melodiöser, ihr Lächeln breiter.
»Falls Sie keinen Durchsuchungsbefehl haben, dann denke ich, es ist Zeit für Sie, zu gehen.«
Der blinde Hausmeister hielt seinen Wagen an, leerte einen Papierkorb in die Mülltonne, legte eine neue Plastiktüte in den Papierkorb ein, dann schob er die Mülltonne in Richtung Eingang. Er zögerte nicht und tastete nicht umher. Man hätte nie bemerkt, dass der Mann blind war, wenn man ihm nicht ins Gesicht gesehen hatte.
»War es ein Sexualverbrechen?«, fragte Gooch.
Das Lächeln der Direktorin flackerte, wurde dann breiter. Gooch hatte das Gefühl, einen Treffer gelandet zu haben. Aber es war schwer zu sagen. »Vielen Dank für Ihren Besuch, meine Herren.«
»Gehen wir, Cody«, sagte Gooch. Er wandte sich ab und ging durch den dämmrigen, hallenden Flur. Draußen im Licht kniff Gooch die Augen zusammen.
Der Hausmeister stand neben der Tür und rauchte eine Zigarette.
»Damon Fergus, hm?«, sagte der alte Mann.
»Wie bitte?«, fragte Gooch.
Im Inneren des Gebäudes hatten die Augen des alten Mannes weiß ausgesehen. Aber hier draußen konnte Gooch erkennen, dass sie in Wahrheit von einem sehr, sehr hellen Blau waren.
»Fergus. Er sitzt im Aufsichtsrat, wissen Sie. Dr. Birkenstock will sich bestimmt nicht mit ihm anlegen.«
»Dr. Birkenstock?«
»Ammerman. Sie faselt die ganze Zeit davon, wie unterdrückt wir Blinde sind.«
Gooch kicherte.
Der alte Mann warf seine Zigarettenkippe auf den Boden, trat dann darauf, zermalmte sie auf dem Beton. »Hab ich getroffen?«, fragte er.
»Was getroffen?«
»Die Kippe. Man arbeitet nach Gehör, aber ab und zu liegt man auch mal daneben.«
»Sie haben einen Volltreffer gelandet.«
»Dr. Birkenstock macht mir die Hölle heiß, wenn ich eine Kippe hier draußen glimmen lasse. Passivrauchen tötet Kinder, dieser ganz blöde PC-Kram.«
»Also kennen Sie Fergus?«
»Klar. Er ist widerlich. Muss mit der Hälfte der Mädchen gevögelt haben, damals, als er hier zur Schule ging. Zwei von ihnen haben sich beschwert, dass er sie gezwungen hätte. Darum ging es bei der Anklage. Sein alter Herr hatte einen Haufen Kohle, hat beide Male einen guten Anwalt engagiert. Sie haben sich auf sexuelles Missverhalten vierzehnten Grades geeinigt oder so. Ich habe eins der Mädchen gesehen. Gebrochene Nase, dicke Lippen, volle Latte.«
»Sie haben gesagt, Sie haben sie gesehen? «
»Das hab ich nur so gesagt. Ich habe sie am Morgen danach weinend auf dem Bett gefunden. Aber das alles fand sie nicht so schlimm. Sie hat gesagt, das Schlimmste wäre gewesen, was er zu ihr gesagt hätte.«
»Was hat er denn zu ihr gesagt?«
»Das hat sie mir nicht verraten. Aber sie hat gesagt, er hätte die ganze Zeit auf sie eingeredet. Heute ist das hier nur eine Tagesschule, aber damals haben die meisten der Kinder auch hier gewohnt. Etwa die
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