Blindes Grauen
Sie mal mit der Dame reden?«
»Sir?«
»Rede mit ihr.« Gooch wollte nichts Übles zu ihr sagen. Und das würde passieren, wenn er noch länger hier herumsaß. Also erhob er sich und ging hinüber zu dem Regal auf der anderen Seite des einfach gehaltenen Büros der Direktorin. Er betrachtete ein paar gerahmte Familienbilder. Steife, unglücklich dreinschauende Leute.
Cody räusperte sich. »Also, Dr. Ammerman, wir untersuchen das Verschwinden einer Kollegin namens MeChelle Deakes. Nun, sehen Sie, es hat sich eine mögliche Verbindung zu einem Mann namens Fergus ergeben, der einen Abschluss an ihrem ausgezeichneten Institut …«
Cody faselte weiter, er erzählte der Frau fünfzigmal so viel, wie sie wissen musste.
Schließlich unterbrach die Dame. »Ja, ja, ich will Ihnen gern helfen. Sie hatten eine Frage?«
Gooch drehte sich herum. Er konnte nicht lange um den Brei herumreden. »Damon Fergus«, sagte er. »Er hat eine Jugendstrafe. Die Akte wurde mittlerweile vernichtet. Wir müssen wissen, worum es dabei ging.«
Die Direktorin erhob sich und fragte: »Könnten Sie mitkommen?«
»Selbstverständlich, Ma’am«, sagte Cody.
Gooch folgte dem Paar, die Direktorin ging den Flur entlang. In den Klassenzimmern saßen Kinder, die weißen Stöcke neben ihren Tischen zusammengefaltet. Etwas an den ganzen leeren, ins Nichts blickenden Augen war ein wenig unheimlich. Die Beleuchtung half nicht. Es war dämmrig in dem ganzen Schuppen und gab praktisch keine Fenster. Es kam Gooch vor wie in einer Höhle.
»Einige unserer Studenten sind lichtempfindlich. Es schmerzt sie in den Augen. Also achten wir darauf, die Beleuchtung so gering wie möglich zu halten.«
Cody nickte ernsthaft. »Ja, Ma’am. Das kann ich nachvollziehen.«
»Es gab eine Zeit, in der Blindheit als Fluch betrachtet wurde«, sagte Dr. Ammerman. »Es ist nicht allzu lange her, dass wir die Blindheit als eine im Grunde allumfassende Behinderung betrachtet haben. Dieses Institut hat es als seine Mission angesehen, einer Gruppe von Menschen, die letztlich nichts als eine ständige Last für die Gesellschaft waren, einige wenige Fähigkeiten beizubringen. Die Dinge haben sich geändert. Die Blinden werden jetzt als anders begabt betrachtet – herausgefordert in bestimmten Bereichen, aber stärker und fähiger als die Sehenden in anderen. Manchmal können sie Dinge sehen, die wir nicht wahrnehmen können.«
Gooch geriet in Versuchung zu fragen, ob die Schule auch eine anders begabte Football-Mannschaft hatte … widerstand aber.
Wenn die Frau sich besser fühlte, nachdem sie ihren Sermon abgelassen hatte, dann musste er sie lassen.
»Aber die Vorurteile bestehen weiter«, fuhr die Direktorin fort. »Stevie Wonder-Witze, Herablassung, Angst. Tief im Hinterkopf der Sehenden ist immer noch das Gefühl verblieben, dass die Blinden verflucht sind. Wenn die Augen die Fenster zur Seele sind, wie sollen wir dann wissen, was im Geist eines Blinden vor sich geht? Sind Sie bloß düstere Monster, die sich in einem menschlichen Körper verstecken?«
»Hmm, also«, sagte Cody. »Das ist alles vielleicht ein bisschen hoch für mich.«
Die Direktorin blieb stehen und deutete durch eine schmutzige Scheibe in einen Raum. Darin saß ein Dutzend Kinder, die vielleicht zehn Jahre alt waren, und lauschten aufmerksam einem Lehrer. Ihre Gesichter waren verzückt vor Konzentration.
»Sehen Sie sie an. Es sind vollständige, schöne, komplette Menschenwesen. Keine Monster.«
Gooch räusperte sich. »Damon Fergus«, sagte er. »Falls Sie nicht etwas wissen, was ich nicht weiß, ist er keines der Kinder in diesem Klassenzimmer.«
»Nehmen wir einmal an, nur hypothetisch, dass Damon Fergus Fehler begangen hat, als er jung war. Was würde es dann bringen, sie fünfundzwanzig Jahre später wieder hervorzukramen? Es würde nur ein weiteres, negatives Stereotyp bedienen. Es würde diesen wundervollen Kindern schaden.«
Gooch versuchte, nicht die Augen zu verdrehen. »Das einzige Klischee, das ich über Blinde je gehört habe, ist, dass sie echt nicht gut sehen können.«
Die Direktorin legte wieder den Kopf schräg und bedachte ihn mit ihrem Gandhi-Lächeln, als wäre er jemand, der ihr wirklich leidtäte. »Bitte entschuldigen Sie«, sagte sie. »Ich kann Ihnen diese Informationen einfach nicht zur Verfügung stellen.«
»Sie meinen, Sie wollen nicht«, sagte Gooch.
Während sie sprach, kam ein dürrer alter Mann aus einem dunklen Flur, er ging auf sie zu und schob einen
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