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Blindes Grauen

Blindes Grauen

Titel: Blindes Grauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Abercrombie
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um die eigene Haut zu retten.
    Sie legte den Hörer vorsichtig auf die Gabel, atmete tief durch. Wartete.
    Tick. Tick. Tick.
    »Na gut«, sagte sie und seufzte. »Lesen wir es noch einmal. Vielleicht haben wir etwas übersehen.«
    »Anhang D«, flüsterte der Stille Mann. »Den habe ich noch nicht vorgelesen.«
    »Okay, Anhang D. Buchprüfungen.«
    Der Stille Mann begann zu lesen.
    MeChelle versuchte sich zu konzentrieren, aber die juristischen Feinheiten waren betäubend langweilig.
    Plötzlich klingelte das Telefon wieder. Sie griff danach, ihr Herz raste.
    Sie hörte Hanks Stimme. »MeChelle? Kannst du mich hören?«
    Bloß klang es nicht so. Es klang wie: Me-ell-nnst-örn? Die Verbindung zwischen ihnen war am Abbrechen.
    »Hank!«, rief sie. »Da stimmt was nicht mit der Verbindung!«
    Aber er schien sie nicht hören zu können. Er sagte immer wieder dasselbe. Sie konnte es nicht richtig verstehen. Er sagte es drei- oder viermal, bevor sie es schließlich begriff. »Me-Chelle, ich schaffe das nicht noch einmal.«
    »Was schaffst du?«, rief sie.
    »… verlieren …«
    Ganz offensichtlich konnte er sie überhaupt nicht hören.
    »Ich kann nicht …«
    »Hank? Ich kann dich nicht hören. Was schaffst du nicht noch einmal?«
    »verlier…«
    »Hank …«
    »… jemanden …«
    »Hank …«
    »… kann nicht jemanden verlieren …«
    »Hank …«
    »… jemanden …«
    »Hank, Ich kann dich nicht …«
    »… wieder …«
    »Hank, du musst Joe Priest unter die Lupe nehmen.«
    »… liebe …«
    Dann wurde die Verbindung unterbrochen.
    Was! Was hatte er gerade gesagt?
    Das ergab keinen Sinn. Aber er schien gerade gesagt zu haben: »Ich schaffe es nicht, noch einmal jemand zu verlieren, den ich liebe.« Aber alles war so verdreht, dass sie nicht sicher sein konnte, ob er das nun gesagt hatte oder nicht.
    Was in aller Welt redete er da? Über wen redete er?
    Wenn sie es nicht besser gewusst hätte, hätte sie glauben können, dass er von ihr sprach. Was ganz offensichtlich nicht der Fall sein konnte.
    Sie kümmerte Gooch einen Dreck. Das wusste sie ganz sicher.

45
    Gooch legte das Handy auf den Beifahrersitz.
    Großer Gott, dachte er, jetzt drehe ich ganz durch.
    Er raste die University Avenue entlang. Hinter sich konnte er Sirenen hören. Er musste den Wagen zügig loswerden. Sie hatten eine Beschreibung, und in kürzester Zeit würden alle Bullen in der ganzen Stadt nach ihm Ausschau halten. Aber es gelang ihm einfach nicht, sich auf dieses Problem zu konzentrieren. Er hob die Hand und wischte sich über das Gesicht. Irritierenderweise war seine Hand danach nass.
    Ich schaffe es nicht, noch einmal jemand zu verlieren, den ich liebe? Wo zum Teufel war das denn hergekommen? Mit der eigenen Waffe einen anderen Polizisten zu bedrohen war wahnsinnig genug. Aber wenn man es genau nahm, hatte er Me-Chelle Deakes gerade erzählt, dass er … also. Nicht so. Sie hatte ihn wahrscheinlich sowieso nicht verstehen können.
    Aber trotzdem.
    Er hatte es gesagt. Worte waren aus seinem Mund gedrungen, die Sachen bedeuteten, die er zuvor noch nicht einmal gedacht hatte, die nicht mal Schatten in seinem Hirn gewesen waren. Oder doch? In letzter Zeit hatte er eine Menge komischer Sachen empfunden. All dieser Kram mit seinem kleinen Mädchen. Es war, als hätte man einen Hahn zu lange zugedreht gelassen, und jetzt war er ganz plötzlich wieder auf.
    Bloß hatte er keine Zeit, darüber nachzudenken.
    Die Sirenen wurden lauter.
    In der Ferne konnte er einen Bahnhof ausmachen. Er schaute in eine Seitenstraße, sah einen riesigen, mintgrünen Hummer – Breitreifen, Chrom, alles drum und dran. Er kurbelte hart nach rechts und hielt quietschend neben dem Hummer. Der riesige Wagen verdeckte ihn jetzt von der University aus gesehen. Wenn alles funktionierte, wie er hoffte, würden seine Verfolger auf der University vorbeirasen und irgendwann draufkommen, dass sie ihn wohl verloren hatten. Aber dann wäre er schon weg.
    Zwei junge Schwarze kamen aus einem Laden und stiegen in den Hummer. Gooch wurde klar, dass er kurz davor stand, seine Deckung zu verlieren. Er stieg aus dem Ford und ging hinüber zum Fenster des Hummers.
    »Wie geht’s, Leute?«, fragte er.
    Die beiden jungen Männer sahen einander an. Sie trugen Hip-Hop-Klamotten, billigen Schmuck, alles übergroß und überweit. Drogendealer? Vielleicht. Aber die wenigsten Drogendealer konnten sich solche Wagen leisten. Im Fernsehen sah es immer aus, als wären Drogendealer reich. Aber die

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