Blindes Vertrauen
deuten. Sie runzelte die Stirn, schüttelte den Kopf und verdrehte die Augen. »Crazy Charlene?« wiederholte sie, damit Gray informiert war.
»Ja, Maâam. Charlene ist siebenundsiebzig Jahre alt, aber noch immer putzmunter.«
»Siebenundsiebzig? GroÃer Gott, wie lange sitzt sie schon hinter Gittern?«
»Sie hat lebenslänglich. Keine Chance auf Bewährung. Sie war schon hier, als ich gekommen bin â und das ist bald siebzehn Jahre her. Sie hat praktisch alle überlebt. Niemand kann sich an eine Zeit erinnern, wo unsere alte Charlene nicht hier war. Sie ist gewissermaÃen ein⦠wie sagt man gleich wieder? Ein Maskottchen. Die geborene Anführerin. Beliebt bei den übrigen Insassinnen. Und ein echtes Original. Sagt zu allem ihre Meinung, ob man nun danach gefragt hat oder nicht.«
»Dann sind Sie also nicht überrascht, daà sie meine Serie im Fernsehen verfolgt und beschlossen hat, mich anzurufen?«
»Ganz und gar nicht. Worüber haben Sie denn berichtet?«
»Ãber den plötzlichen Kindstod.«
»Hmmm. Ich dachte, Sie hätten eins ihrer Lieblingsthemen behandelt. Sie äuÃert sich ziemlich unverblümt über Beamtenbestechung, Polizeibrutalität, Legalisierung von Gras ⦠solche Themen.«
»Was hat sie verbrochen?«
»Sie hat mit ihrem Mann einen Schnapsladen überfallen. Für
weniger als fünfzig Dollar Beute hat er eine achtzehnjährige Verkäuferin und drei Kunden durch Kopfschüsse getötet. Dafür ist er vor einigen Jahren hingerichtet worden. Charlene, die nicht selbst geschossen hatte, hat geschworen, ihr Alter habe sie zum Mitmachen gezwungen, und ist deshalb nicht zum Tod verurteilt worden.«
»Nichts davon hängt mit dem plötzlichen Kindstod zusammen, stimmtâs?«
»Ich sehâ da keinen Zusammenhang.«
»Nun, besten Dank für Ihre Auskünfte. Bitte entschuldigen Sie, daà ich noch so spät angerufen habe, Mr. Foote.«
»Graham. Foote Graham. Kein Problem. Freut mich, daà ich Ihnen zu Diensten sein konnte.«
Barrie wollte sich schon verabschieden, als Gray sie anstieÃ, um sie an etwas zu erinnern. »Oh, Mr. Graham, eine letzte Frage: Es gibt vermutlich keine Verbindung â und sei sie auch noch so entfernt â zwischen Charlene und Senator Armbruster oder Präsident Merritt?«
»Zwischen ihr und dem Präsidenten? Na, warum haben Sie das nicht gleich gefragt?«
Ihr Herz schien einen Schlag auszusetzen. Das gesamte Universum schrumpfte zusammen, so daà es in dem schmutziggrauen Telefonhörer Platz hatte, den sie umklammerte.
»Was hat er gesagt?« flüsterte Gray und drängte sich näher an sie heran.
Sie machte ihm ein Zeichen, er solle den Mund halten. Der stellvertretende Gefängnisdirektor sprach weiter: »Irgendeine Verbindung zwischen Charlene und unserem Senator oder zwischen ihr und Präsident Merritt ist durchaus denkbar.«
»Wie das?« frage Barrie heiser.
»Oh, da gibtâs verschiedene Möglichkeiten. Charlene kommt viel herum, wissen Sie.«
»Ich dachte, sie sitzt lebenslänglich?«
»Das stimmt. Aber Charlene behauptet, sie hätte vor ihrer Inhaftierung ein sehr bewegtes Leben geführt. Erst mal war sie Robert Redfords College-Sweetheart. Das war nach ihrem Techtelmechtel mit Richard Nixon. Zwischendurch hat sie ein uneheliches Kind von Elvis Presley bekommen und eine dieser französischen Dreiecksgeschichten mit Marilyn Monroe und Joe DiMaggio erlebt, die damals verheiratet waren. Charlene nimmt für sich in Anspruch, ihn zur Erfindung von Mr. Coffee angeregt zu haben.«
Barrie sank gegen die Glaswand der Telefonzelle. »Ach, allmählich kommâ ich mit. Sie tickt nicht richtig.«
»Allerdings!« bestätigte er, während ein Lachen, das viel melodischer als das des Wärters war, an ihr Ohr drang. Einen Augenblick später sagte er: »Entschuldigen Sie, daà ich auf Ihre Kosten lache, Miss Travis. Wärâ das für Sie echt wichtig gewesen?«
»Ja.«
»Tut mir schrecklich leid, Maâam. Sie haben Ihre Zeit vergeudet, fürchte ich.«
»Nicht ganz«, sagte sie niedergeschlagen. »Wenigstens habe ich mal jemanden kennengelernt, der Foote heiÃt.«
Sobald sie wieder im Auto saÃen, zerrià Barrie den Zettel mit Charlenes Namen und Telefonnummer in winzige Papierfetzen und lieà sie
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